Der faule Flüchtling
Was sind das für Menschen, die uns, glaubt man der Politik, derzeit schwer auf der Tasche liegen, gefühlt an allem schuld sind? Schauen wir uns doch die Biografie eines Geflüchteten an. Von Rechten würde er, nennen wir ihn M., wohl als Parasit angefeindet werden. Von Realo-Grünen eher als jemand wahrgenommen werden, der die Integration in Deutschland nie geschafft hat und damit leider sein Recht auf Aufenthalt verwirkt hat.
M. kam mit Mitte 30 nach Europa, zuerst nach Italien, ehe er nach Deutschland weiterzog. Er stammt aus der Sahararegion, spricht neben der Muttersprache seiner Ethnie noch annehmbar Arabisch. In seiner Heimat hat er hauptsächlich die Koranschule besucht, immerhin Lesen und Schreiben gelernt. Von Jugend an hat er in der Landwirtschaft gearbeitet, später hat er Teppiche verkauft. Mit Ende 20 ging er nach Libyen, war dort als Reinigungskraft tätig.
Er ist wie viele schwarze Gastarbeiter von den Wirren des Gaddafi-Sturzes überrascht worden. Wie viele Geflüchtete wurde er in einer feindlichen, im Aufruhr befindlichen Umgebung quasi auf die Boote Richtung Europa gezwungen. Eine Rückkehr in die Heimat war auch keine Option, weil es dort Ende der 2000er einen Rebellenaufstand gab. Noch dazu hätte er, der an der libyschen Küste arbeitete, ganz Libyen durchqueren und mit leeren Händen zu seiner Ehefrau zurückkehren müssen. Also ging es nach Italien.
Er hatte Glück, sein Boot kam an. In Italien gab es zwar Aufenthaltspapiere, jedoch keine Zukunft. Also ging er nach Deutschland, wo er seit 10 Jahre ist. Aufgrund seiner Herkunft ist das Bundesland Brandenburg für ihn zuständig. Er landete in einem Landkreis, dessen Verwaltung Geflüchteten besonders wenig Unterstützung bietet. Er stammt aus einem der ärmsten Länder der Welt stammt, welches seit Jahr und Tag diktatorisch beherrscht wird. Gehört dazu noch einem Volksstamm an, aus dem sich der größte Teil der Rebellen rekrutiert. Trotzdem erhielt M. wie alle seine Landsleute in Deutschland einen negativen Asylbescheid.
Er, der eigentlich nie nach Europa wollte, war da schon Mitte 30. Und brachte schon kurz nach der Ankunft nicht mehr die nötige Energie und Fantasie auf, sich eine Zukunft hier auszumalen. In all den Jahren gab es nur 2016 einen Hoffnungsschimmer. Er durfte einen Sprachkurs absolvieren und sogar ein Praktikum in einem holzverarbeitenden Betrieb machen.
Zu mehr als A1 hat es bei M. nie gereicht. Und als die Euphorie des „Wir schaffen das“ abgeklungen war, wurde auch er wieder aufs Abstellgleis geschoben. Mit Duldung und ohne Perspektive. Arbeiten durfte er nicht. Vielen seiner Landsleute im Landkreis gelang irgendwann der Absprung nach Berlin. Sie fanden Arbeit, ergatterten Aufenthaltspapiere. Gründeten teils sogar Familien. Ihm gelang all das nie. Man müsste ihn für völlig bescheuert halten, würde man glauben, dass er die Fortschritte der Anderen nicht mitbekommen hätte. All das hat an ihm genagt!
Zu Beginn der Corona-Pandemie fühlte er sich noch isolierter. Und so zwischen Lockdowns beschloss er deshalb, die Provinz Brandenburgs hinter sich zu lassen und nach Frankreich zu gehen. Über die nächsten 18 Monate will er nicht sprechen. Sicher ist, dass er trotz einer weitaus größeren Community auch dort nicht glücklich wurde. Jedenfalls kam er zurück und hoffte, dass niemand seine Abwesenheit bemerkt hätte.
Dem war natürlich nicht so. Er kam in einem Heim in einem anderen Landkreis unter. An seinem Status, also geduldet und ohne Arbeitserlaubnis, hatte sich nichts geändert. Dafür hat er jetzt ein Verfahren wegen illegalem Aufenthalts (§95 Abs.1. Nr. 1 AufenthG) an der Backe. Die ermittelnde Behörde mag vielleicht nicht wissen, dass er in Frankreich war. Aber selbst wenn sie dies wüsste, wäre nichts gewonnen, dann wäre er wegen illegaler Einreise dran.
Besonders bitter: Durch diese Lücke, in der er für die deutschen Behörden nicht greifbar war, hat er auch keine Chance auf den Chancenaufenthalt (§104 c). Dieser besagt, dass Geflüchtete, die mit 31.10.2022 mindestens 5 Jahre in Deutschland waren, Aufenthalt für 18 Monate bekommen. In dieser Zeit sollen sie sich Deutsch auf B1-Niveau aneignen, einen Job finden und einen Heimatpass auftreiben. Ist all das nach 18 Monaten erfüllt, winkt längerer Aufenthalt.
Es wäre auch ohne die vertane Chance auf §104c ein langer Weg gewesen. Die Passbeschaffung ist mühsam, der Spracherwerb sowieso. Dieser Tage hatte ich ein Gespräch mit dem Anwalt, den ich M. besorgt hatte. Die Aussichten sind mau. Am Status quo wird sich so schnell nichts ändern. Eine Abschiebung in das Herkunftsland ist unwahrscheinlich, auch eine Arbeitserlaubnis wird er nicht bekommen.
Er ist nun Mitte 40. Vor über 15 Jahren ist er von daheim weggegangen, jetzt mit leeren Händen zurückzukehren, wäre auch bitter. Vor allem die Erkenntnis, dass dort niemand auf ihn gewartet hat. Und so ist er weiter ein fauler Flüchtling, in den Augen vieler Politiker*innen ein Integrationsversager. Diese Einschätzung wird aber momentan seine geringste Sorge sein. M. ist zu sehr damit beschäftigt, Zeit totzuschlagen.
Danke für die Aufmerksamkeit!
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