Back im Business!
Wir sind wieder da! Der männliche Part von Neukölln hilft ist zwar nicht sonnengebräunt und gut erholt, aber immerhin genesen. Wir haben zwar das Social-Media-Game zurückgefahren, waren aber natürlich trotzdem nicht untätig. Und deshalb gibt es in den nächsten Tagen eine geballte Ladung Einblicke in unser Tun.
Zuvor wollen wir uns aber einmal mehr für eure Unterstützung bedanken! Ohne euch wäre die Finanzierung von 9-Euro-Tickets nicht möglich, ohne euch könnten wir nicht eben die eine oder andere Rechnung übernehmen. Herzlichen, herzlichen Dank für euren Support! Falls ihr noch den einen oder anderen Cent übrig habt, er wäre in schwierigen Zeiten sehr willkommen: https://paypal.me/neukoellnhilft
Hilferuf aus der JVA
Es hat eine gewisse Tradition, dass sich Teile der tschadischen Community Freitag nachmittags in einem Café in Kreuzberg treffen. Auch ich schaue ab und an vorbei und traf gerade in den vergangenen Wochen auf lang vermisste oder gar unbekannte Gesichter. Das 9-Euro-Ticket macht es möglich, dass auch jene kommen, die sonst jeden Cent umdrehen müssen und in der Pampa Brandenburgs zumindest innerlich verrecken. Kaum hatte ich an dem sonnigen Junitag Platz genommen und an meinem Cappuccino genippt, stürzte geradezu atemlos ein geflüchteter Freund rein. Ein gemeinsamer Bekannter säße in einer JVA in Brandenburg fest und könne gegen eine Summe von knapp über 100 Euro ausgelöst werden. Mehr Infos gäbe es nicht. Das Geld hatte die tschadische Community schon beisammen. Ein paar Telefonate später zwar zumindest mal die betreffende Justizvollzugsanstalt eruiert und ein Plan für den kommenden Tag geschmiedet. Mein Freund würde sich in die Weiten Brandenburgs begeben und hoffentlich in Begleitung des vermeintlichen Deliquenten heimkehren. Was ganz easy klang, hielt mich dann doch Samstag vormittags ordentlich auf Trab. Denn derjenige, der zur Abholung auserkoren war, tat gerade so, als würde er den Gang ins Verderben antreten, obwohl er das Unschuldslamm in Person ist und natürlich nichts zu befürchten hat. Da musste ich ihn telefonisch aufmuntern und auch während seiner Interaktion an der Pforte der JVA mithören. Kurz und gut, der Bekannte wurde ausgelöst und seitdem versuche ich fieberhaft ihm bei der Bewältigung der Probleme zu helfen. Und derer hat er viele.
Man stelle sich den Mann als charismatischen, wortgewaltigen Charakter vor. Aufmüpfigkeit scheint sein zweiter Vorname. Da seine Lage freilich einigermaßen trist ist, sprach er in letzter Zeit vermehrt dem Alkohol zu und wurde eigenbrötlerisch. Diesen Umständen ist es überhaupt erst zuzuschreiben, dass er über einen Monat in der JVA einsaß, ohne dass seine Landsleute sich Sorgen über den Verbleib machten. Laut eigenen Angaben sei er bei einer Routinekontrolle aufgegriffen und verhaftet worden, hätte in der JVA über Wochen nicht telefonieren dürfen. Dass er überhaupt einkassiert wurde, ist auf einen Strafbefehl aus 2020 zurückzuführen, in dem es allem Anschein nach um eine Handgemenge mit einem Ladeninhaber ging, der ihn aus Sicht des Tschaders völlig zu Unrecht des Diebstahls beschuldigte. Da der Tschader Briefe von Ämtern und Gerichten prinzipiell ungeöffnet ließ, kam es, wie es kommen musste. Einen smarten und auch einnehmenden Menschen derart vor die Hunde gehen zu sehen, hat mich doch einigermaßen getroffen. Und darum versuche ich gerade, sein Leben in geordnete Bahnen zu hieven. Indem ich ihn davon überzeugen konnte, dass sich AnwältInnen nicht konspirativ mit Staatsorganen gegen ihn verschwören. Auch Briefe der Paigo, die das Inkasso für die Deutsche Bahn macht, sollte man nicht ignorieren. Also tippe ich mir gerade die Finger wund, um weiteres Ungemach zu verhindern. Dazu versuche ich, ihm Perspektiven aufzuzeigen. Das von der zuständigen Ausländerbehörde ausgesprochene Arbeitsverbot zu bekämpfen, eine Beschäftigung zu finden, dazu noch Hilfe beim Alkoholentzug zu finden, all das ist nur dann realistisch, wenn der Geflüchtete die Desillusionierung überwindet. Die diesbezügliche Überzeugungsarbeit ist ein Knochenjob…
Nur das Beste fürs Kind
Doch zurück zu besagtem Freitag in Kreuzberg. Kaum war die Auslösung aus der JVA ausgeheckt, kam ein anderer Geflüchteter auf mich zu und bat um ein vertrauliches Gespräch. Den jungen Mann Anfang 20 hatte ich wohl zwei Jahre nicht gesehen. Mein letzter Kenntnisstand war, dass er den Schulabschluss nachholte und danach eine Ausbildung in seinem Traumjob Lokführer machen wollte. Doch Mensch, das war Schnee von gestern! Den Schulabschluss hatte er leider nicht geschafft, sämtliche Pläne frustriert hingeworfen und stattdessen dann immer ein paar Monate in diversen prekären Lagerjobs gearbeitet. Daneben hatte er noch ein Kind gezeugt, doch hatte die Mutter zunächst seine Vaterschaft bestritten. Er musste diese erst mittels Vaterschaftstest belegen und darum kämpfen, sein Kind sehen zu dürfen. Doch nun war er völlig geknickt. Die Mutter des Kindes musste aufgrund psychischer Probleme in die Psychiatrie, das Jugendamt brachte das Kind in eine Pflegefamilie. Es wurde entschieden, dass auch er das Kind für sechs Monate nicht sehen dürfe. Sein Anwältin sieht derzeit keine Möglichkeit dagegen vorzugehen. Er war am Boden zerstört, zeigte mir die ganze Zeit Fotos des Kindes und betonte, wie sehr er es vermisse. Doch zugleich zeigte er sich kämpferisch. Er habe jetzt einen neuen Job und verspreche sich viel davon, zudem mache er gerade den Führerschein. Er fragte mich, ob ich ihn nicht dabei unterstützen könne, doch noch einen Ausbildungsplatz zu finden. Er wolle was aus seinem Leben machen, um seinem Kind Möglichkeiten geben zu können, so der Tenor.
Vor wenigen Tagen kam es zu einem erneuten Treffen. In noch gedrückterer Atmosphäre. Denn der neue Job, von dem er sich Stabilität versprochen hatte, war futsch. Er war innerhalb der Probezeit gekündigt worden. Ohne Angabe von Gründen. Und auch von der Führerschein-Front gab es schlechte Nachrichten. Den Theorieteil habe er bestanden, aber er sei schon mehrfach durch den Praxisteil gefallen. Der Prüfer möge ihn nicht, meinte er. Und tatsächlich kenne ich es eigentlich nur umgekehrt, dass der Theorieteil zur unüberwindbaren Hürde wird. Sein Kind vermisse er auch wie verrückt, betonte er um Fassung ringend. Gerade in jener Zeit, in der das Kind seine Umgebung wahrnimmt, die Bindung zu seiner Umwelt aufbaut, darf er nicht einmal telefonischen Kontakt mit ihm haben. Solche Gespräche lassen mich immer ratlos zurück. Hoffnung zu vermitteln und dabei zugleich realistisch zu bleiben, ist immer ein Spagat. Wir schauen jetzt mal, was sich an der Aus- bzw. Weiterbildungsfront ergibt.
Verpfuschte Jahre
Wir sind noch immer in einem Kreuzberger Café, es ist noch immer ein sonniger Nachmittag im Juni. Doch sollte es das mit dem Drama noch nicht gewesen sein. Ich wollte eigentlich schon aufbrechen, als ein Geflüchteter, den ich nur vom Sehen aus kannte, zu mir trat und mich ein paar Minuten meiner Zeit bat. Es wurden mehr. Er sei bereits 8 Jahre in Deutschland, lebe in der Pampa Brandenburgs und habe noch immer nur eine beschissene Duldung. Er dürfe nicht arbeiten, dürfe keinen Integrationskurs machen. Kurzum, er dürfe nichts. Er habe vor ein paar Jahren ein paar Wochen im Knast gesessen, weil er eine Flasche Wodka gestohlen habe. Seitdem habe er sich nichts mehr zuschulden kommen lassen. Er werde alt, während er einfach nur warte. Und warte. Er halte das nicht mehr lange aus. Nein, er habe keinen Anwalt. Oder doch irgendwie schon. Er habe eine Anwältin, aber er habe sie noch nie gesehen und wisse auch nicht genau, was sie mache. Er wisse nicht, wie sich die Situation verbessern ließe. Alles sei verzwickt. Man kann sich ausmalen, dass solch ein Hilferuf natürlich den Impuls weckt, etwas zu unternehmen. Allerdings lässt sich mit der Schilderung eines sehr angeschlagenen Gemütszustandes wenig Handfestes anfangen. Ich versprach mit der Anwältin Kontakt aufzunehmen und hatte als einzigen Trost anzubieten, dass er mir seinen Papierkram zukommen lassen sollte, damit ich mal ausloten könne, wie verfahren seine Lage sei. Seine Miene erhellte sich dabei leider nicht. Auch ich verließ das Café einigermaßen nachdenklich.
In der Zwischenzeit habe ich mir einen Überblick über die Situation des Mannes machen können. Nicht zuletzt wegen einer kooperativen Anwältin, die auf Anfrage klarstellte, dass sie den Geflüchteten lediglich wegen der Kürzung seiner Leistungen nach AsylbLG vertreten hatte und sonst nichts mit ihm am Hut habe. Der Knackpunkt ist in seinem Falle die fehlende Mitwirkung bei der Passbeschaffung. Doch hat er Angst der Ausländerbehörde einen Pass vorzulegen, weil er in diesem Fall eine Abschiebung befürchtet. Dazu kommt, dass er weder jemals eine Geburtsurkunde noch einen Pass besessen hat. Im Grunde steht er sich selbst im Weg. Denn der angekündigte Chancen-Aufenthalt wird sicher auch eine Mitwirkungsklausel bei der Feststellung der Identität haben. Solang er also nicht versucht, zumindest an eine Geburtsurkunde zu kommen, solang wird sich an seiner Situation vermutlich nichts ändern. Das hat ihm auch ein Anwalt meines Vertrauens, mit dem wir mittlerweile gesprochen habe, so klar mitgeteilt. Er überlegt nun – und wartet ab. Leider!