Gesundheitssystem schadet der Gesundheit
Heute wollen wir uns mal kurz mit Geflüchteten und dem deutschen Gesundheitssystem beschäftigen. Triggerwarnung, es wird unschön! Wir haben genug Erfahrungen gemacht, um zu sagen, dass dies keine Einzelfälle sind. Ein roter Faden zieht sich durch meine Gesprächen mit Geflüchteten: Die Diskrepanz zwischen dem, was mir von Gesprächen mit Ärzt*innen berichtet wird, und den Diagnosen, die sich dann schwarz auf weiß in Arztbriefen finden.
Beginnen wir gleich mal mit einem Denkfehler, der in vielen Praxen und Kliniken weit verbreitet ist. Patient*innen sind nicht in einer Bittstellerfunktion. Kommunikation ist keine Einbahnstraße. Es ist nicht allein die Aufgabe von Patient*innen, kommunikative Schwierigkeiten zu überwinden. Doch genau das wird zu oft erwartet. Selbst wenn sich Geflüchtete um bestmögliche Kooperation bemühen, kommen nicht selten Missverständnisse dabei heraus. Zum Aufwärmen fangen wir mit einer eigentlichen Lappalie an.
Es dreht sich um eine IGeL-Leistung im Rahmen einer Schwangerschaftsuntersuchung bei der Gynäkologin. Ein externes Labor sollte einen Wert bestimmen. So weit, so gut. Doch kam die Rechnung nie an, angeblich wegen ungenügender Adressdaten. Die Mahnung kam an, just in der Zeit der turbulenten Geburt. Sie wurde im Tohuwabohu übersehen. Zwei Monate später folgte dann ein Inkassoschreiben einer darauf spezialisierter Anwaltskanzlei. Eine simple IGeL-Leistung wurde so extrem aufgebläht. Eine Nachfrage beim Labor, das all das beauftragt hatte, bezüglich Kulanzlösung wurde abgeschmettert. So schnell wie ein Medizinlabor Fälle ins Inkasso schickt, kenne ich das nicht mal von abzockenden Mobilfunkunternehmen.
Problematischer ist da schon eine Geburt in einer Berliner Klinik, bei der sich Ärzt*innen und Pflegepersonal nicht die Mühe machten, eine Geburtseinleitung und den Kaiserschnitt der werdenden Mutter wirklich zu erklären. Die Mutter litt noch Wochen später an den Folgen. Und der Vater sprach erst Wochen später darüber, wie er vom Pflegepersonal angefaucht wurde, als er darum bat, sein Kind sehen zu dürfen. In einem stressigen Krankenhaussetting Frustrationen an denen auslassen, die sich vermutlich nicht wehren, ist falsch.
Mit Schrecken erinnere ich mich noch an eine Abtreibung, die ich aus der Ferne begleitet habe. Es war eine schwere Entscheidung, mitten in der Pandemie, in einem Landkreis, in dem es gerade gar keine Unterstützung hinsichtlich Schwangerschaftsabbruch gab. So geriet natürlich auch die vorherige Beratung per Telefon zur Farce. Und als wäre das nicht schlimm genug, musste die Frau dann noch in der Ambulanz ewig unter unwürdigen Umständen auf den Eingriff warten. Schlimm! Bis heute mache ich mir Vorwürfe, dies nicht besser eingefädelt zu haben.
Unvergessen ist auch der Fall eines Kindes, das im Mutterleid starb und in einer Berliner Klinik tot geboren wurde. Auch hier schickte die Klinik eine völlig überforderte Mutter kurz danach zurück in eine Brandenburgische Flüchtlingsunterkunft. Da ihr Mann sie natürlich aus Sorge begleitete, war ich dann allein mit dem Bestatter beim Begräbnis auf einem Berliner Friedhof. Die Frau erholte sich psychisch lange nicht davon. Therapeutische Hilfe wurde ihr in Brandenburg nicht zuteil.
Ich habe schon sehr depressive Geflüchtete in Psychiatrische Institutsambulanzen begleitet, die dort mit einer banalen Diagnose und netten Worten abgespeist wurden. Man sei nicht zuständig, weil der Geflüchtete nicht in Berlin wohne. Weiterbehandlung sollte in Brandenburg erfolgen. Ich habe oft genug erlebt, dass Ärzt*innen ungeniert Geld für Atteste von Geflüchteten verlangen. Oder Medikamente auf blauen und grünen Rezepten verschreiben. Woher sollen Menschen, die ohnehin nur geringe Leistungen erhalten, das Geld dafür nehmen?
Das bringt mich zu einem tragischen Fall. Ein Geflüchteter mit massiven Hornhautproblemen (Schwerbehindertengrad 100) konnte nach einer OP in einer Berliner Klinik endlich wieder besser sehen. Er erhielt Rezepte mit teuren Medikamenten, die er zur Nachsorge dauerhaft nehmen sollte. Ich organisierte eine einmalige finanzielle Unterstützung von 300 Euro über einen kirchlichen Härtefonds. Ein befreundeter Supporter übernahm die Medikamentenkosten für weitere drei Monate. Doch als kein Geld mehr da war, nahm der Geflüchtete die nötigen Medikamente einfach nicht mehr. Resultat war eine massive Verschlechterung der Augen, ein weiterer stationärer Aufenthalt in einer Klinik wurde nötig. Es ist Stand jetzt zu befürchten, dass er dauerhaft auf einem Auge blind sein wird. Natürlich mache ich mir auch Vorwürfe, beim zuständigen Sozialamt nicht mehr Druck auf eine Kostenübernahme gemacht zu haben.
Das ist nur ein kleiner Einblick. Ich könnte auch Geschichten darüber erzählen, wie einem Geflüchteten ein falscher Zahn gezogen wurde. Oder von Ärzte berichten, die eine weibliche Begleitpersonen als Partnerin des Geflüchteten abtun, anzügliche Kommentare inbegriffen. Über die Kommunikation mit Krankenkassen könnte ich sogar einen Roman verfassen. Spoiler-Alert: AOK Nordost und Barmer kämen nicht so gut weg.
Fazit: Ein Gesundheitssystem, dass auch ohne sprachliche Barrieren, Menschen oftmals unzureichend bis schlecht behandelt, zeigt sich gegenüber Geflüchteten natürlich oft völlig unsensibel.
Danke für eure Aufmerksamkeit!
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