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Gesundheitssystem schadet der Gesundheit
Heute wollen wir uns mal kurz mit Geflüchteten und dem deutschen Gesundheitssystem beschäftigen. Triggerwarnung, es wird unschön! Wir haben genug Erfahrungen gemacht, um zu sagen, dass dies keine Einzelfälle sind. Ein roter Faden zieht sich durch meine Gesprächen mit Geflüchteten: Die Diskrepanz zwischen dem, was mir von Gesprächen mit Ärzt*innen berichtet wird, und den Diagnosen, die sich dann schwarz auf weiß in Arztbriefen finden.
Beginnen wir gleich mal mit einem Denkfehler, der in vielen Praxen und Kliniken weit verbreitet ist. Patient*innen sind nicht in einer Bittstellerfunktion. Kommunikation ist keine Einbahnstraße. Es ist nicht allein die Aufgabe von Patient*innen, kommunikative Schwierigkeiten zu überwinden. Doch genau das wird zu oft erwartet. Selbst wenn sich Geflüchtete um bestmögliche Kooperation bemühen, kommen nicht selten Missverständnisse dabei heraus. Zum Aufwärmen fangen wir mit einer eigentlichen Lappalie an.
Es dreht sich um eine IGeL-Leistung im Rahmen einer Schwangerschaftsuntersuchung bei der Gynäkologin. Ein externes Labor sollte einen Wert bestimmen. So weit, so gut. Doch kam die Rechnung nie an, angeblich wegen ungenügender Adressdaten. Die Mahnung kam an, just in der Zeit der turbulenten Geburt. Sie wurde im Tohuwabohu übersehen. Zwei Monate später folgte dann ein Inkassoschreiben einer darauf spezialisierter Anwaltskanzlei. Eine simple IGeL-Leistung wurde so extrem aufgebläht. Eine Nachfrage beim Labor, das all das beauftragt hatte, bezüglich Kulanzlösung wurde abgeschmettert. So schnell wie ein Medizinlabor Fälle ins Inkasso schickt, kenne ich das nicht mal von abzockenden Mobilfunkunternehmen.
Problematischer ist da schon eine Geburt in einer Berliner Klinik, bei der sich Ärzt*innen und Pflegepersonal nicht die Mühe machten, eine Geburtseinleitung und den Kaiserschnitt der werdenden Mutter wirklich zu erklären. Die Mutter litt noch Wochen später an den Folgen. Und der Vater sprach erst Wochen später darüber, wie er vom Pflegepersonal angefaucht wurde, als er darum bat, sein Kind sehen zu dürfen. In einem stressigen Krankenhaussetting Frustrationen an denen auslassen, die sich vermutlich nicht wehren, ist falsch.
Mit Schrecken erinnere ich mich noch an eine Abtreibung, die ich aus der Ferne begleitet habe. Es war eine schwere Entscheidung, mitten in der Pandemie, in einem Landkreis, in dem es gerade gar keine Unterstützung hinsichtlich Schwangerschaftsabbruch gab. So geriet natürlich auch die vorherige Beratung per Telefon zur Farce. Und als wäre das nicht schlimm genug, musste die Frau dann noch in der Ambulanz ewig unter unwürdigen Umständen auf den Eingriff warten. Schlimm! Bis heute mache ich mir Vorwürfe, dies nicht besser eingefädelt zu haben.
Unvergessen ist auch der Fall eines Kindes, das im Mutterleid starb und in einer Berliner Klinik tot geboren wurde. Auch hier schickte die Klinik eine völlig überforderte Mutter kurz danach zurück in eine Brandenburgische Flüchtlingsunterkunft. Da ihr Mann sie natürlich aus Sorge begleitete, war ich dann allein mit dem Bestatter beim Begräbnis auf einem Berliner Friedhof. Die Frau erholte sich psychisch lange nicht davon. Therapeutische Hilfe wurde ihr in Brandenburg nicht zuteil.
Ich habe schon sehr depressive Geflüchtete in Psychiatrische Institutsambulanzen begleitet, die dort mit einer banalen Diagnose und netten Worten abgespeist wurden. Man sei nicht zuständig, weil der Geflüchtete nicht in Berlin wohne. Weiterbehandlung sollte in Brandenburg erfolgen. Ich habe oft genug erlebt, dass Ärzt*innen ungeniert Geld für Atteste von Geflüchteten verlangen. Oder Medikamente auf blauen und grünen Rezepten verschreiben. Woher sollen Menschen, die ohnehin nur geringe Leistungen erhalten, das Geld dafür nehmen?
Das bringt mich zu einem tragischen Fall. Ein Geflüchteter mit massiven Hornhautproblemen (Schwerbehindertengrad 100) konnte nach einer OP in einer Berliner Klinik endlich wieder besser sehen. Er erhielt Rezepte mit teuren Medikamenten, die er zur Nachsorge dauerhaft nehmen sollte. Ich organisierte eine einmalige finanzielle Unterstützung von 300 Euro über einen kirchlichen Härtefonds. Ein befreundeter Supporter übernahm die Medikamentenkosten für weitere drei Monate. Doch als kein Geld mehr da war, nahm der Geflüchtete die nötigen Medikamente einfach nicht mehr. Resultat war eine massive Verschlechterung der Augen, ein weiterer stationärer Aufenthalt in einer Klinik wurde nötig. Es ist Stand jetzt zu befürchten, dass er dauerhaft auf einem Auge blind sein wird. Natürlich mache ich mir auch Vorwürfe, beim zuständigen Sozialamt nicht mehr Druck auf eine Kostenübernahme gemacht zu haben.
Das ist nur ein kleiner Einblick. Ich könnte auch Geschichten darüber erzählen, wie einem Geflüchteten ein falscher Zahn gezogen wurde. Oder von Ärzte berichten, die eine weibliche Begleitpersonen als Partnerin des Geflüchteten abtun, anzügliche Kommentare inbegriffen. Über die Kommunikation mit Krankenkassen könnte ich sogar einen Roman verfassen. Spoiler-Alert: AOK Nordost und Barmer kämen nicht so gut weg.
Fazit: Ein Gesundheitssystem, dass auch ohne sprachliche Barrieren, Menschen oftmals unzureichend bis schlecht behandelt, zeigt sich gegenüber Geflüchteten natürlich oft völlig unsensibel.
Danke für eure Aufmerksamkeit!
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Arbeitspflicht für Geflüchtete (Ein Rant)
Ich bekomme gerade so einen Hals, wenn ich vom Vorschlag einer Arbeitspflicht für Geflüchtete höre. Ich schildere euch mal einen Fall und lasse euch dann gern beurteilen, ob es nicht wichtiger wäre, auf ein Recht auf Arbeit zu pochen.
Ein Geflüchteter aus einem afrikanischen Land ist seit bald 10 Jahren hier in Deutschland. Er hat Deutschkurse besucht, war ehrenamtlich als Übersetzer tätig. Hat eine Einstiegsqualifizierung zum Anlagenmechaniker absolviert, stand bei den Firmen, bei denen er arbeitete, hoch im Kurs.
Was als Erfolgsgeschichte begann, wurde vor mehreren Jahren durch ein Arbeitsverbot der zuständigen Ausländerbehörde jäh gestoppt. Seitdem geht es dem Mann psychisch immer schlechter. Sämtliche Versuche, dieses Arbeitsverbot aufheben zu lassen, scheiterten an einer sturen Ausländerbehörde.
Auch ein eingeschaltener Anwalt konnte nichts erwirken, trotz der Absichtserklärung einer Firma aus der Solarbranche ihn sofort einstellen zu wollen. Das war vor einem Jahr. Der Anwalt änderte seine Strategie. Die Duldung sollte zugunsten eines Chancenaufenthalts nach § 104c weichen. Doch weigerte sich die Ausländerbehörde, diesem Antrag stattzugeben. Es sei ein Sperrvermerk wegen laufender staatsanwaltlicher Ermittlungen in der Akte. Also musste der Anwalt dort erst mal mühsam nachforschen. Von dort kam schließlich die Mitteilung, dass das Verfahren wegen vermeintlich illegaler Einreise bereits vor einem Jahr eingestellt worden war. Eine Mitteilung an die Ausländerbehörde unterblieb.
Nun sollte doch wohl endlich alles klappen, oder? Nein, die Ausländerbehörde bearbeitet den Chancenaufenthalt jetzt wohl, doch bis zur Gewährung hat der Geflüchtete weiter eine Duldung. Und so gehen die Mätzchen weiter. Eine Arbeitsaufnahme mit Duldung würde jedoch nur dann erlaubt werden, wenn der Geflüchtete Bemühungen bezüglich Passbeschaffung nachweisen würde. Die hatte er jedoch in der Vergangenheit bereits nachgewiesen.
Fun fact: Den Job bei der Solarfirma könnte der Geflüchteten weiterhin sofort antreten, weil er bereits über Qualifikationen verfügt und solche Bewerber in Brandenburg händeringend gesucht werden.
Fazit: Dieser Fall mag in seiner Absurdität zwar hervorstechen, doch muss ich oft um eine Arbeitserlaubnis für Geflüchtete in Brandenburg kämpfen. Solang Ausländerbehörden solch Zirkus hinsichtlich einer Arbeitserlaubnis veranstalten, soll mir niemand mit einer Arbeitspflicht kommen.
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Aus unserer Beratungspraxis (III)
Heute mal wieder Haarsträubendes aus unserer Beratung und Begleitung…
Die Nachwirkungen von Zeitarbeit
Ein geflüchteter Mann mit Duldung, in seiner Heimat früher als Lehrer tätig, erhielt im Sommer 2022 von einem Bekannten den Tipp, doch bei einer Zeitarbeitsfirma in Brandenburg anzuklopfen, um die zuständige Ausländerbehörde eines brandenburgischen Landkreises dazu zu bringen, ihm aufgrund eines konkreten Jobangebots eine Arbeitserlaubnis zu geben. Er ging hin, die Zeitarbeitsfirma versprach, sich mit der Behörde in Verbindung zu setzen. Wenig später kam schon der Anruf der Firma, alles sei in trockenen Tüchern, er dürfe anfangen. So arbeitete er circa 1 Monat bei der Zeitarbeitsfirma, ehe es dann bei einem regulären Termin bei der Ausländerbehörde richtig ungemütlich wurde. Denn da wusste man nichts von einer angeblichen Arbeitsgenehmigung und verpasste ihm bei der Verlängerung der Duldung gleich ein striktes Arbeitsverbot. Als ich damit befasst wurde, wollte ich bei der Zeitarbeitsfirma ordentlich Krawall machen. Der Geflüchtete hatte jedoch Sorge, dann den noch ausstehenden Lohn nicht zu erhalten. Also hielt ich still.
Nun ein Jahr später ist die Sache noch immer nicht ausgestanden. Im Frühsommer 2023 kam nämlich ein Brief seiner Krankenversicherung, wonach er über 8 Monate nicht versichert gewesen sei. Wir füllten also den Fragebogen aus und gaben an, dass er in der fraglichen Zeit Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten hätte und somit die Versicherung bestand. Aus meiner Sicht war die Sache damit eigentlich erledigt. Meine Vermutung war schon damals, dass nach der einmonatigen Arbeitsaufnahme die vom Sozialamt des Landkreises abgeführten Krankenversicherungsbeiträge bei der betreffenden Krankenkasse falsch zugeordnet wurden. Ende August gab es nun eine Mahnung über mehr als 1700 Euro, die er im Zuge der nachträglichen Selbstversicherung zahlen sollte. Ich ließ mir eine Vollmacht für die Kontaktaufnahme mit der AOK ausstellen und schrieb dorthin. Die Antwort kam spät und war eher dürftig, das Problem sei mit dem Landkreis zu klären. Zugleich erreichte den komplett entgeisterten Geflüchteten ein Brief mit der Ankündigung, nun Zwangsvollstreckungsmaßnahmen einzuleiten. Also kontaktiere ich nun den Landkreis, um das Tohuwabohu aufzuklären. Es ist ärgerlich. Besonders ärgerlich neben all der investierten Zeit und den angeschlagenen Nerven des Geflüchteten ist der Umstand, dass eine windige Zeitarbeitsfirma einmal mehr ungeschoren davonkommt, wenn sie Geflüchtete ins offene Messer laufen lässt. Beim Geflüchteten, in seiner Heimat wohlgemerkt Mathelehrer, geht es dennoch aufwärts. Er hat mittlerweile endlich einen Chancenaufenthalt nach §104c erhalten und arbeitet seit ein paar Monaten in einer Autowäscherei.
Die Crux mit der Steuererklärung
Einer der heikelsten Punkte in der Beratung in Arbeit befindlicher Geflüchteter ist das Thema Steuererklärung. Da darf man ja nicht einfach so dabei helfen – und das ist auch gut so. Es gibt einen triftigen Grund, weshalb es dafür einen eigenen Berufsstand gibt. Nun bestehen aber Hemmschwellen, eine Steuerberatungskanzlei aufzusuchen, weshalb pfiffige Geflüchtete gern auf diverse Steuererklärungsapps zurückgreifen. Ich erkläre höchstens den Ablauf, wie man sich bei Elster registriert und an ein Zertifikat kommt, damit man die Steuererklärung in Angriff nehmen kann. Und doch entkomme ich dem Thema Steuererklärung nicht. Ein mir nahestehender Geflüchteter hatte auch die Steuer via App gemacht. All das war dann mehrere Wochen im Status Bearbeitung, ehe er aufgefordert wurde, noch Ergänzungen zu machen. Er tat dies. 24 Stunden später erhielt er dann das Angebot, dass er vermutlich um die 250 Euro für 2022 zurückerhalten würden, als Spesen für den Steuerberater sollten knapp 70 Euro fällig sein. Als er mir davon erzählte, fragte ich nach, ob er eigentlich auch den mit den Öffis zurückgelegten Weg zur Arbeitsstätte und die damit verbundenen Kosten angegeben hatte. Ja, so antwortete er, er wurde danach gefragt, aber nur für die Arbeit, die er 2022 zwei Monate hatte, nicht für seinen Job, den er das übrige Jahr 2022 hatte. Das habe ihn auch ein wenig gewundert. Mich wiederum wunderte die eher niedrige Rückerstattung freilich nicht mehr. Ich riet ihm also, seine Steuererklärung keinesfalls so einzureichen. Eine Steuererklärung mittels App ist halt auch nicht die Lösung.
Aber selbst der Weg hin zu all den für eine Steuererklärung benötigten Unterlagen ist kein einfacher. Ein geschiedener Geflüchteter wollte für seine Kinder die Steuer-IDs erfahren. Also half ich ihm bei der Kommunikation mit dem Bundesamt für Steuern. Was soll ich sagen? Es ist kompliziert. Die an die Meldeadresse von Mutter und Kindern gesendeten Steuer-IDs kamen angeblich nicht an. Der Versand an seine Meldeadresse war trotz einigem Hin und Her nicht realisierbar. Wenn ich daraus was gelernt habe, dann dass ich im Bundesamt für Steuern eine Art Endgegner gefunden habe. Ein guter Rat zuletzt: Macht bitte übrigens nie den Fehler, in der Öffentlichkeit im Gespräch mit Geflüchteten das Wort Steuererklärung in den Mund zu nehmen. Wildfremde Menschen, die dies aufschnappen, werden euch sofort interessiert und höflich fragen, ob ihr denn bei der Steuererklärung helfen würdet. Sagt den Leuten dann mit der gebotenen Vehemenz, dass euch als dahergelaufene Herzchirurginnen oder Atomphysiker diese Thematik leider auch überfordert!
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Aus unserer Beratungspraxis (II)
Uff, fragt ihr euch manchmal auch, ob ihr im falschen Film seid? Wir schon. Hier ein kleiner Einblick mit Fällen aus unserer Praxis. Doch zuerst müssen wir natürlich über den werten Herrn Merz sprechen. Das Problem ist nicht, dass Friedrich Merz lügt, wenn er behauptet, dass sich abgelehnte Asylbewerber in Deutschland die Zähne machen lassen würde und deutschen Bürgern deshalb Termine beim Zahnarzt wegnehmen würden. Das Problem besteht konkret darin, dass er damit viele Menschen erreicht, die diese Lügen glauben (wollen). In all den Jahren, in denen wir Geflüchteten dabei helfen, Arzttermin zu vereinbaren, sie nicht selten sogar begleiten, waren zahnärztliche Zermine stets unsere geringste Sorge. Und in den Fachrichtungen, in denen es verdammt schwer ist, halbwegs zeitnah einen Termin zu bekommen, schwelt der Missstand schon lange, nicht erst seit 2015 oder 2022. Da ist politisch gewollte Zwei-Klassen-Medizin die Wurzel allen Übels, nicht Hassan aus Syrien, Ibrahima aus Mali oder Svetlana aus Moldawien. Doch schauen wir uns mal ein paar Fälle aus unserer Praxis, diesmal mit dem Schwerpunkt auf medizinische Versorgung, an.
Der eigentliche Preis einer Behandlung
Er war gerade erst ein Teenager, als er zum Militär eingezogen wurde. In dem westafrikanischen Land herrschte zu diesem Zeitpunkt Bürgerkrieg. Eine Explosion verletzte ihn schwer am linken Bein. Bis heute leidet er unter dieser Verletzung. Doch dazu später mehr. Er floh in andere afrikanische Länder, wurde dort aber von Unruhen oder Hungersnöten eingeholt. Ende der 2000er erhaschte er ein Visa für Polen. Seine Absicht war jedoch nie, dort zu bleiben, er wollte in den Niederlanden um Asyl anzusuchen. Doch das Dublin-Verfahren machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Und so blieb er 10 Jahre in Polen, versuchte sich zu integrieren, heiratete eine Polin, bekam Kinder. Was er in Polen jedoch nie in ausreichendem Maße erhielt, war die medizinische Versorgung, die es ihm trotz körperlicher Einschränkung ermöglichen würde, ein annähernd normales Leben zu führen. Als schließlich auch die Ehe in die Brüche ging, stand er vor dem Nichts. So beschloss er, es abermals mit einem Asylantrag in den Niederlanden zu versuchen. Er kratzte das Geld für eine Fahrkarte zusammen, wurde aber an der deutsch-holländischen Grenze abgefangen und ins Erstaufnahmezentrum in Eisenhüttenstadt gebracht. Dank den Corona-Wirren kam es nicht zu einer Abschiebung nach Polen, mittlerweile ist Deutschland für den Geflüchteten zuständig. Er ist jetzt seit zweieinhalb Jahren hier in Deutschland. Die gute Nachricht: Hier erfuhr er eine adäquate Behandlung seiner Behinderung. Die schlechte Nachricht: Seine Perspektive in Deutschland sieht eher düster aus. Er lebt nun in einer Gemeinschaftsunterkunft nahe Berlin. Dort steckte ihm jemand meine Nummer zu. Zuerst einmal habe ich einen Anwalt eingeschaltet. Doch auch dieser meint, dass die Perspektiven für einen Aufenthaltstitel in Deutschland nicht gut seien. Anders sehe es wohl in Polen aus. Und so sehr er auch Sehnsucht nach seinen Kindern in Polen hat, so sehr fürchtet er, in das Land zurück zu müssen, dass ihm so lange Zeit so übel mitgespielt hat. Er möchte in Deutschland bleiben, weil er erst hier Zugang zu den so dringend benötigten medizinischen Leistungen hat, die eine Arbeitsfähigkeit sicherstellen. Er ist arbeitswillig, will mit dem verdienten Geld seinen Kindern ein gutes Leben ermöglichen. Der Preis für all das ist aber, dass er seine Kinder nicht im Arm halten kann. Ist er wirklich die Sorte „böser Ausländer“, der Deutschen Termine bei Ärzten und in Ambulanzen stiehlt?
Ein abwimmelndes System
Eine afghanische Familie, seit einigen Jahren hier in Deutschland, hatte Anfang 2022 Glück. Nach vielen Jahren, in denen sie in Hostels und Unterkünften in Berlin versauert ist, fand sie gerade noch vor Ausbruch des russischen Angriffskriegs hier in Berlin endlich eine eigene Wohnung. Der Preis dafür war aber hoch. Die erwachsene Tochter, die sich um alle Belange gekümmert hat, obwohl sie sich gerade auf den Beginn ihres Studium vorbereiten sollte, hat den Stress mit einem körperlichen und nervlichen Zusammenbruch bezahlt. Doch das ist Schnee von gestern, ihr Einstieg ins Studium ist mehr als nur geglückt. Eigentlich könnte nun alles gut sein, doch wurde ich dieser Tage wieder um Rat gefragt. Der mittlerweile ebenfalls volljährige Sohn der Familie leidet schon lange an einer psychischen Erkrankung. In den letzten Jahren war er deshalb viele Monate in psychiatrischen Einrichtungen in Berliner Kliniken. Nun hat sich sein Gesundheitszustand zwar leicht verbessert, eine Perspektive hat aber nicht. Die Familie hat sich schon vermehrt um Hilfestellungen bei renommierten Vereinen und Beratungsstellen bemüht, ist aber bislang immer wieder abgeblitzt. Dadurch, dass er nun volljährig ist, fallen Angebote für Minderjährige weg. Und deshalb werde ich, der ich in der Vergangenheit bereits in Krisensituation in bescheidenem Maße Unterstützung leisten konnte, nun versuchen, Türöffner zu sein. Das ist ja das eigentlich frustrierende Element an der Situation. Dass die Organisationen und amtlichen Stellen, die eigentlich Anlaufstelle sein sollten, gerne mal – bewusst oder unbewusst – Hürden aufbauen, die selbst engagierte Familien nicht überwinden können. Man wird erst mal abgewimmelt oder vertröstet. Es braucht leider, leider erst Akteure mit Kenntnis des Systems, die da einen Fuß in die Tür stellen und auch nicht weichen. Ich werde also die nächsten Wochen ein wenig Hirnschmalz und einiges an Beharrlichkeit in eine echte Problemlösung stecken müssen. Und mir ist es wirklich egal, ob dies Herrn Merz genehm ist.
Unsensible Entscheidungsfindung
Mehr als einmal haben wir uns von Geflüchteten anhören dürfen, dass ein Problem Europas die Allergien sind. In Afrika hätten sie keine Allergien gehabt, hier in Europa machen ihnen diese schwer zu schaffen. Gut, dafür gäbe es in Afrika Moskitos und Malaria, das wiederum sei zum Glück hier kein Problem. Wir kennen so einige Allergiker, denen Birke, Ragweed oder Hausstaub ordentlich zusetzen. Und da können auch Cetirizin oder Nasenssprays keine große Linderung schaffen. Darum haben wir schon mehrfach HNO-Ärzt*innen in Berlin aufgesucht. Prinzipiell ist so ein Besuch bei Fachärzt*innen kein Zuckerschlecken. Es muss ruckzuck gehen, für 5 Minuten im Behandlungsraum darf man durchaus eine Stunde Nachbesprechung einkalkulieren, um das Gehörte dann auch einzuordnen. Gerade wenn es beispielsweise um Desensibilisierungstherapie bei Allergien geht. Damals, als so manche tschadischen Geflüchteten, die wir unterstützt haben, noch ausgesprochen unsichere Aufenthaltsperspektiven hatten, wurde gern von ärztlicher Seite darauf hingewiesen, dass man diese auch 3 Jahre lang durchziehen muss, weil sonst der Schaden größer als der Nutzen sein könnte. Konnte man aber Geflüchteten, die lange von einer Abschiebung nach Italien bedroht waren, ob der Aussicht eines nicht unwahrscheinlichen Behandlungsabbruchs wirklich zu einer langfristigen Therapie raten? Irgendwie ist man in der unterstützenden Position dann doch auch in einer Rolle, ungewollt eine Entscheidung für oder gegen die Therapie zu treffen, je nachdem, wie man das Pro und Contra der ärztlichen Einschätzung in der Erklärung gewichtet. Das sollte aber so nicht sein. Ärzt*innen sollten ein unsicheres Zögern dann eben nicht mit den Worten abtun, dass man ja wiederkommen können, wenn man sich entschieden habe. Mehr Zeit für Erklärungen muss sein, selbst wenn im Wartezimmer Herr Merz sitzt.
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Aus unserer Beratungspraxis (I)
Fragwürdiger DNA-Test
Ende letzten Jahres ging eine hochschwangere Geflüchtete mit ihrem Freund, der einen deutschen Pass besitzt, zum Bürgeramt, um bereits vor der Geburt die Vaterschaftsanerkennung in die Weg zu leiten. Man vertröstete sie mit den Worten, dass das nach der Geburt recht unkompliziert erledigt werden könnte. Denkste! Dem Baby geht es zwar blendend, mehr nach 9 Monate später ist die Beurkundung der Vaterschaft aber noch immer ausgesetzt, weil die Behörden erst einen DNA-Test sehen wollen. Nun ist so ein DNA-Test ja nicht wirklich günstig. Zumal der Kindsvater gerade in einer Ausbildung ist und sich nicht einfach so ein paar Euro dazuverdienen kann. Noch übler aber ist, dass die Sache mit dem DNA-Test in keinem der vorliegenden Schreiben auftaucht, sondern den Eltern nur mündlich kommuniziert wurde. So geht das natürlich nicht! Die Notwendigkeit eines DNA-Test möchte ich zumindest mal schwarz auf weiß lesen. Ein diesbezüglicher Brief ist raus. Jetzt heißt es abwarten.
otelo ist Mist
Ein Praxistipp: Hände weg von otelo, der Discount-Marke von Vodafone. Bereits seit März 2022 beschäftigt uns folgender Fall. Ein Ende Februar 2022 abgeschlossener Sim-only-Mobilfunktarif wurde den vollmundigen Versprechungen eines Händler in Berlin-Neukölln nicht gerecht. Es folgte daher ein an otelo gerichteter Widerruf des Vertrags. Ein paar Wochen später kam als Antwort, dass das der Vertrag bestenfalls beim Händler widerrufen werden könne und sonst natürlich über die vereinbarte Laufzeit von 24 Monaten weiterginge. Wir haben daraufhin im Frühsommer letzten Jahres den Verbraucherschutz Berlin konsultiert und ein Antwortschreiben aufgesetzt. Danach war Ruhe, die Ruhe vor dem Sturm. Im Frühjahr 2023 nämlich erhielt der Geflüchtete Post von einem Inkassounternehmen. Auch hier setzte ich unverzüglich einen Brief auf, der dem Inkassounternehmen mitteilte, dass die Forderung zu Unrecht bestehe. Vor ein paar Wochen nun kam ein neuer Brief, dass in der Angelegenheit Rücksprache mit Vodafone gehalten wurde und die Forderung berechtigt sei. Wir reden mittlerweile über einen Betrag von fast 600 Euro, für den es keine Gegenleistung geben hat, weil der Geflüchtete die SIM-Karte nur wenige Tage genutzt hatte. Fassen wir nochmals zusammen: Dubiose Händler, die Mobilfunkprodukte aufschwatzen, machen die Drecksarbeit. Etwaige Einwände zum abgeschlossenen Vertrag werden vom Mobilfunkanbieter abgeschmettert, indem auf die Zuständigkeit des Händlers verwiesen wird. Wenn es um das Eintreiben vermeintlicher Schulden geht, ist dann aber der Mobilfunkanbieter zuständig. Was macht die für Verbraucherrechte zuständige Politik eigentlich so beruflich?
Kommunenirrsinn
Gleich mehrere Fälle mit geradezu absurden, teils absurden Nachforderungen diverser brandenburgischer Landkreise beschäftigen uns derzeit. Alle Fälle eint, dass die Kreiskassen jeweils einige Tausend Euro für Nutzungsentgelte aus dem Jahre Schnee haben wollen. Und als wären diese astronomischen Nutzungsentgelte nicht schon problematisch genug, kommen noch Zinsen und Säumniszuschläge dazu, die schon mal 30 Prozent der Gesamtforderung ausmachen. In der gesamten Debatte um die Unterbringung Geflüchteter wird so gern von der Belastung der Kommunen gesprochen. Was dabei oft unerwähnt bleibt, sind die – höflich ausgedrückt – bescheidenen Wohnverhältnisse, die sich die Kommunen, sobald Geflüchtete in Arbeit sind, dann mit vielen hundert Euro in Monat versilbern lassen möchten. Das ist schon ein starkes Stück. Und nicht selten kommen solch Forderungen mit arger Verzögerung und bedeuten dann einen finanziellen Genickbruch. In zumindest einem Fall haben wir es bei den geforderten Nutzungsentgelten sogar mit einem Geflüchteten zu tun, der seit 2014 in Deutschland ist und bis dato noch keine Arbeitserlaubnis hat. Eine Nachfrage an die Kreiskasse des Landkreises ist seit über einem Monat unbeantwortet. In der ganzen Diskussion über Belastungsgrenzen der Kommunen wird deren eklatante Missverwaltung mit keiner Silbe erwähnt. Schade!
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Point of no Return & Durchgeknallt und obdachlos
Wir haben euch schon länger kein Update gegeben, was auch daran liegt, dass es derzeit an Negativität nicht mangelt und neben kleinen Erfolgen derzeit leider auch in unserem Tun eher mittlere und große Katastrophen dominieren. Wir werden in den nächsten Tagen mehrere Updates posten, vielleicht seid ihr trotzdem an dem einen oder anderen Schicksal interessiert:
Point of no Return
Einen jungen Mann aus dem Tschad (Baujahr 1999), wohnhaft in einem Städtchen im Westen Brandenburgs, haben wir lange Zeit mal mehr, mal weniger begleitet. Zumindest vor Corona hatten wir viel Hoffnung, was seine Perspektive in Deutschland angeht. Er wollte seinen Schulabschluss nachholen und träumte davon, Lokführer zu werden. Alles schien möglich. Doch gerade in den letzten drei Jahren ging alles den Bach runter. Er schmiss die Schule, gerade weil es während der ersten Lockdowns natürlich auch nicht so viele Möglichkeiten zur Nachhilfe gab, damit ging natürlich auch der Traum vom Lokführer flöten. Auch weitere Ausbildungsmöglichkeiten verliefen im Sande, in seinen Jobs, etwa bei Tesla als Gabelstaplerfahrer, wurde er auch nicht wirklich glücklich.
Dazu kamen private Probleme. Er hatte ein gemeinsames Kind mit einer Deutschen. Und obwohl diese 2022 in die Psychiatrie eingewiesen wurde, durfte er das Kind viele, viele Monate nicht sehen. Er hätte keinen Bezug zum Kind, argumentierte das Jugendamt. Erst Anfang diesen Jahres konnte er nach langem Hin und Her bei Gericht ein Umgangsrecht erwirken, eine Sorgerecht blieb in weiter Ferne. Ebenso quälte ihn, dass er noch immer eine Aufenthaltsgestattung hatte. Ein anwaltlicher Antrag, seine Klage gegen die Asylablehnung zurückzuziehen, um wenigstens den neu eingeführten Chancenaufenthalt zu bekommen, wurde laut Anwalt vom Gericht abgeschmettert. Sein Arbeitgeber Tesla, bei dem er beschäftigt war, hatte ihm zudem von einem Tag auf den anderen mitgeteilt, dass eine Arbeitserlaubnis nicht mehr für die Anstellung reichen würde, sondern er sofort einen Aufenthaltstitel vorlegen müsste. Als er diesen nicht beibringen konnte, wurde er entlassen.
Irgendwann im Lauf des Frühjahrs war er mit den Nerven fertig, der Point of no Return erreicht: Er würde zurück in den Tschad gehen, weil es seiner Familie nicht gut ging. Trotz aller Risken, trotz aller Probleme! Sein einziger Wunsch hier in Deutschland war es, wenigstens den teuren Flug in den Tschad irgendwie bezahlt zu bekommen. Doch Rückkehrhilfe ist in Brandenburg allem Anschein nach ein Fremdwort. Die Ausländerbehörde winkte ab und verwies ihn an die örtliche Beratungsstelle der Diakonie. Der Haken daran war, dass es diese Beratungsstelle längst nicht mehr gab. Ich hatte eher halbherzig in Berlin ein paar Institutionen angefragt, aber entweder waren diese nur für Berlin zuständig oder aber sie meldeten sich schlicht nicht zurück. Halbherzig habe ich hauptsächlich deshalb agiert, weil ich im Stillen hoffte, dass dies nur eine Laune des jungen Mannes sei und er sich wieder fangen würde.
Ende Mai schließlich erzählten mir befreundete Landsleute, dass der Geflüchtete tatsächlich in Tschad zurückgegangen war. Ich kontaktierte ihn per WhatsApp, er klang ungemein gelöst, so als würde er erst jetzt wieder daran glauben, irgendwie, irgendwo und vielen Widrigkeiten zum Trotz eine Zukunft zu haben. Er habe zwar selten Handyempfang und Strom gebe es im Dorf auch quasi nicht, er sei aber froh, in schweren Zeiten bei seiner Familie zu sein und helfen zu können. Die Passivität, die ihn hier in Deutschland in den Klauen hatte, war zugunsten des Gefühls, selbst anpacken und helfen zu können, gewichen.
Als Wermutstropfen bleibt ein Kind, dass ohne einen sehr liebevollen Vater als Menschen aufwachsen muss. Das System Deutschland hat einen intelligenten jungen Menschen weichgekocht und ausgespuckt, ihm selbst bei seiner Rückkehr in den Tschad noch einen Tritt in den Hintern verpasst.
Durchgeknallt und obdachlos
Dienstag früh nahm ich aufgrund eines Außentermins nicht den üblichen Weg zur Arbeit, sondern trieb mich müde und mit Kaffee bewaffnet in der Nähe des Ostbahnhofs rum, als ich plötzlich einen von einem Zeltlager in der Mitte einer kleinen Wiese winkenden Mann sah. Mit einem Mal war ich wach! Vor mir stand A., ein seit einigen Wochen verschollenes „Sorgenkind“. Er begrüßte mich auf Deutschland und generell die ganze Welt schimpfend.
Spulen wir mal zwei Jahre zurück. A., ein Tschader damals Anfang 30, hätte eigentlich einigermaßen froh sein können. Er hatte über die Vermittlung von jobs4refugees einen Job in einem Gartenbauunternehmen aufnehmen können. Er, der sich mehrere Jahre hatte gehen lassen und unzählige Strafen wegen Fahrens ohne Ticket angehäuft hatte, hatte zu diesem Zeitpunkt einen Unterstützer, der sich um mindestens ein Dutzend aufgelaufener Inkassoforderungen kümmerte. Ein Neustart nach bescheidenen Jahren schien möglich. Doch dazu kam es nicht. Denn wenige Tage vor Beginn des Jobs wurde er im Görlitzer Park überfallen und an der Schulter verletzt. Hallo Krankenhaus, adieu Job! Die Probleme mit der Schulter würden ihn noch einige Zeit begleiten. Er blieb der Pechvogel, der er auch schon zuvor gewesen war. Wobei Pech das ganze Schlamassel nur unzureichend beschreibt. A. zählte auch in der tschadischen Community schon länger zu den Abgehängten. Obwohl seit mindestens 2013 in Deutschland hatte er nie wirklich Deutsch gelernt, sondern sich ein Kauderwelsch angeeignet, was die Verständigung nicht immer einfach machte. Latent wohl länger vorhandene psychische Probleme wurden durch traumatisierende Erfahrungen verstärkt. Bei fast jeder Gelegenheit erzählte er die Geschichte eines länger zurückliegenden, mehrmonatigen Gefängnisaufenthalts. Bis heute kennt er den Grund dafür nicht. Er sei mit einem umtriebigen Supporter zu einem Gerichtstermin in Potsdam gebracht und dort länger befragt worden. Anschließend sei ihm gesagt worden, dass er gehen dürfe. Er sei mit dem Supporter dann aus dem Gerichtsgebäude geschlendert, nur um dann von einem Polizisten oder Angehörigen der Justizwache dann doch aufgehalten und in einer Wanne in ein Gefängnis gebracht zu werden. Dort habe man ihn mies behandelt, er hätte sich nackt ausziehen müssen und es wäre ein Ganzkörperröntgen gemacht worden. In seiner Zelle hätte er öfter Notizen auf arabisch auf einen Block gemalt. Dies führte dazu, dass er von einem Wächter fälschlich verdächtigt wurde, Al-Quaida nahezustehen. Er sei mehrfach verhört worden, ihm seien Bilder nackter Frauen gezeigt worden, vermutlich um eine Reaktion zu provozieren. So weit die nicht nachprüfbare Geschichte, wie er sie immer wieder erzählte.
Bevor wir das alles als Schauermärchen abtun, will ich mal die für mich nachprüfbaren Fakten darlegen. Es gab tatsächlich eine stark zerfledderte Bescheinigung von einem mehrwöchigen Aufenthalt in einer brandenburgischen Psychiatrie. Was in den mickrigen Unterlagen jedoch fehlte, war irgendein Hinweis darauf, dass er danach jemals wieder in psychiatrischer Behandlung war. Was auch immer der Auslöser für die Einweisung war, der mentalen Gesundheit wurde anschließend keine Aufmerksamkeit geschenkt. Nun hatte A. tatsächlich mehrere Jahre einen Anwalt, doch zu diesem konnte man nicht mehr gehen, um mehr über die Vorgeschichte zu erfahren. Der Anwalt hatte seine Tätigkeit aufgegeben, ein Nachfolger sollte zunächst die Kanzlei und das Mandat übernehmen. Die Kanzleiübernahme wurde jedoch abgeblasen und schließlich landeten die Akten bei einem eher für russischsprachige Mandaten agierenden Anwalt. Zu diesem wollte der Tschader keinerlei Kontakt, überhaupt traute er Anwälten nicht mehr über den Weg. Also blieb dieser Weg der Aufarbeitung außen vor.
Nicht hilfreich bei dem Versuch, A. wieder auf die Beine zu helfen, war der Umstand, dass der Mann öfter mal zu Drogen griff, zumindest Marihuanakonsum steht außer Zweifel. In von Drogen benebeltem Zustand war er zuvor schon mal aus Fenstern seiner Potsdamer Flüchtlingsunterkunft gefallen. Als er sich Anfang 2022 noch mit Supporter überwarf, schien dies kurzzeitig sogar ein Segen. Er hatte kein Geld für Drogen und blieb im Heim im Potsdam. Doch irgendwann Ende letzten Jahres dürfte er dann in ein betreutes Wohnen verlegt worden sein. Dort fühlte er sich allem Anschein nach nicht wohl, er kam wieder öfter nach Berlin, trieb sich an Treffpunkten der tschadischen Community herum und bettelte seine Landsleute um Geld an. Und das bringt uns nun wieder zu jenem Dienstagmorgen.
A. begrüßte mich also schimpfend. Seine Landsleute würden mit dem deutschen System unter einer Decke stecken. Alle, denen er früher vertraut hätte, hätten sich gegen ihn verschworen. Er sei zu oft „in den A*sch ge*ickt“ worden. Er lebe jetzt schon 2 Monate auf der Straße, schlafe entweder auf der Wiese nahe dem Ostbahnhof oder bei schlechtem Wetter in einem Park. Er habe alles, alles satt. Er wolle zurück in den Tschad, dort sei seine Familie angesehen, hätte früher sogar Könige gestellt. Mein Blick fiel auf seine verkrüppelten, nackten Füße. Seine Schuhe seien vom Regen des vergangenen Tages nass, er habe kaum etwas zum Anziehen, keine vernünftigen Schuhe und leider auch kein Geld für ein Ticket aus dem Elend. Ich musste weiter, ich versprach aber, ihn in den kommenden Tagen dort wieder aufzusuchen.
Durchgeknallt und obdachlos, so lautet das triste Fazit dieser Begegnung. Wie ich ihm helfen kann, ist mir nicht ganz klar. Falls jemand Kleidung in Größe M und Schuhe in der Größe 43 übrig hat, würde ich ihn wenigstens damit versorgen. Mehr an Hilfe scheint nicht möglich, ein tristes Ende vorprogrammiert. Mich persönlich hat dieses Zusammentreffen sehr traurig gestimmt.
Danke für das Lesen dieser Zeilen. Demnächst mehr, dann auch wieder mit ein paar Lichtblicken.
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Danke!
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Abschiebung und Polizeigewalt
Es begann Dienstag abends mit einem Hilferuf zu vorgerückter Stunde. Eine junge Frau aus dem Tschad und ihr 4-jähriges Kind sollten in der Nacht von Montag auf Dienstag aus einer Unterkunft in Peitz im Landkreis Cottbus abgeschoben werden. Die Abschiebung sei aus dem Ruder gelaufen, die Frau von der Polizei misshandelt und mit Verletzungen im Krankenhaus in Cottbus stationär aufgenommen worden. Das Kind würde vermutlich nun vom Jugendamt betreut. Da mir die Quelle dieser Nachricht vertrauenswürdig erschien, hatte ich sogleich den Flüchtlingsrat Brandenburg kontaktiert und ein paar meist wohlinformierte Menschen angeschrieben. Außerdem habe ich auch tschadische Freunde gebeten, in der Community die Ohren zu spitzen.
Im Laufe des heutigen Mittwochs hatte ich endlich auch einen Namen und eine Telefonnummer. Damit ließ sich arbeiten. Doch leider war die Tschaderin telefonisch nicht erreichbar. Am Nachmittag meldete sich der Flüchtlingsrat Brandenburg zurück und versprach, über offizielle Kanäle eine Anfrage an die zuständigen Behörden zu stellen. Dazu kontaktierte mich noch eine im Landkreis in der Flüchtlingsberatung tätige Frau, um deren Engagement ich bereits aus früheren Kontakten wusste. Sie konnte mir den für Peitz zuständigen Migrationssozialarbeiter nennen und bot sich zudem an, Donnerstag als Übersetzerin ins Krankenhaus zu fahren. Im Lauf des Nachmittags bekam ich allmählich ein klareres Bild der Lage. Das Ziel des Abschiebeversuchs dürfte vermutlich Frankreich gewesen sein. Die Frau war vermutlich noch mit einer Aufenthaltsgestattung ausgestattet, was den Zeitpunkt der Abschiebung eher überraschend macht. Die Tschaderin hatte sich gegen die Mitnahme durch die Polizei gewehrt und daraufhin Verletzungen erlitten. Aus einer Quelle erfuhr ich, dass ein zeitnaher neuerlicher Abschiebeversuch drohen könnte.
Nur damit wir uns nichts vormachen: In Cottbus darf die Tschaderin nicht auf Milde hoffen. Das Krankenhaus scheint bei Abschiebungen in der Vergangenheit ausgesprochen kooperativ gewesen zu sein. Die Ausländerbehörde genießt einen ganz schlechten Ruf. Und das Verwaltungsgericht Cottbus ist – höflichst formuliert – problematisch. Cottbus ist ein Hort des Grauens für Geflüchtete.
Abschiebungen sind nie lustig. Vor allem aber scheinen sie eine ziemlich rechtsfreie Situation. Weil Übergriffe nicht geahndet werden, da die Personen, die sie betreffen, in meist weiter Ferne nicht gegen die Übergriffe vorgehen können. Wir haben uns fest vorgenommen, hier weiter am Ball zu bleiben und hoffen, morgen endlich mit der Tschaderin persönlich sprechen zu können. Wir bedanken uns für die zahlreichen, nützlichen Rückmeldungen!
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Die Faxen dicke
Wir haben die Faxen dicke und wittern Verschwörungen. Hier lest ihr warum…
Doch vorab einmal mehr die Bitte unseren Kampf zu unterstützen. Details dazu hier: https://www.paypal.com/pools/c/8R5xxoXdjC
Zu viele Köche
Einen Geflüchteten mit 100% Schwerbehinderung haben wir im vergangenen Jahr nach Kräften unterstützt. So konnte ich etwa Geld für teure Medikamente, die in der Nachsorge nach einer Augen-OP nötig und nicht vom Sozialamt (trotz Antrags) übernommen wurden, auftreiben. Auch sonst stand ich ihm im Kleinkampf mit Behörden bei, auch weil er betonte, dass die Sozialarbeiter in seinem Heim ihn nicht im nötigen Maße unterstützen. Ich hatte ihn auch zu Terminen zum Brandenburgischen Flüchtlingsrat begleitet. Kurzum, es schien viel zum Guten zu wenden. Dieser Tage nun wollte ich einen Antrag auf Chancenduldung bei der für ihn zuständigen Ausländerbehörde des Landkreises Potsdam-Mittelmark stellen. Doch vorher hielt er mir noch einen Wisch unter die Nase, der mir die Sprache verschlug. Sein Antrag auf Umverlegung nach Potsdam wurde genehmigt. Ein Antrag, den wohlgemerkt Sozialarbeiter vor Ort, gestellt hatten, weil er in dem Heim so unglücklich ist. Der Geflüchtete versprach sich einen raschen Ausweg aus der Misere. Was für ein Mist! Wer schon mal solche Umverteilungen durchgemacht hat, weiß ziemlich genau, dass nichts schnell geht und alle Leistung neu beantragt und geprüft werden müssen. Das Sprichwort, wonach zu viele Köche den Brei verderben, trifft hier zu gut. Und mich beschleicht der Verdacht, dass man ihn so schön aus dem Landkreis hinauskomplimentiert hat…
Sticht ins Auge
Auch im nächsten Fall aus Märkisch-Oderland geht es um einen diesmal sehr jungen Geflüchteten mit einer Augenerkrankung, die schon mehrere OPs notwendig machte. Dass er zudem an Morbus Crohn leidet, macht seine Situation nicht leichter. Vom Landkreis kommt wenig und auch das Land Brandenburg baut Mist. Im Dezember nun kam ein Ablehnungsbescheid bezüglich Neufeststellung seiner Ansprüche nach Schwerbehindertenrecht. Er habe keine Einwilligungserklärung trotz mehrfacher Aufforderung gegeben, weshalb eine aktuelle Feststellung des Gesundheitszustands nicht möglich sei, so das Landesamt für Soziales und Versorgung in Cottbus. Das ist natürlich nicht richtig, ich habe mit ihm das diesbezügliche Formular schon im Sommer ausgefüllt und dazu im Herbst noch mal ein Schreiben zwecks Nachfrage verfasst. All das will die Behörde nicht erhalten haben? Ein schlechter Scherz, den wir so jetzt nicht auf uns sitzen lassen. Die Frist für den Widerspruch ist zwar leider schon verstrichen, ein Neuantrag wird aber jetzt gestellt und eine Beschwerde hinsichtlich Bearbeitung des alten Antrags natürlich gestellt. Das Maß, in dem Bürokraten hier Hilfe verweigern, sticht nämlich wirklich ins Auge.
Bürokratensperenzchen
Apropos Bürokratie! Wir sind nun bei unserer Rundreise durch den Speckgürtel Berlins bis nach Brandenburg an der Havel gekommen. Dort wird ein Geflüchteter, der im Rahmen der Vorgriffsregelung den Antrag auf Chancenaufenthalt bereits im Herbst 2022 gestellt hat, mit allerlei bürokratischen Schikanen konfrontiert. Was er alles an Unterlagen beibringen und nachreichen soll, hat selbst mich überrascht. Es bleibt der Eindruck, dass es sich um eine Verzögerungstaktik der dortigen Ausländerbehörde handelt. So muss er unter anderem die Nebenkostenabrechnung nachreichen. Er wohnt in einem Heim, ist aufgrund von Erwerbstätigkeit nicht auf Sozialleistungen angewiesen. Er bräuchte den Aufenthaltstitel noch dazu dringend, um in einem Sorgerechtsprozess bessere Karten zu haben. Es geht also um viel für ihn und die Ausländerbehörde will alles unnötig in die Länge ziehen. Wir haben jetzt die Unterlagen zusammengesucht und die Behörde gefragt, ob ihr noch etwas einfällt, was zur Verlängerung des nach Beibringung der Unterlagen ohnehin noch 8 Wochen dauernden Genehmigungsverfahrens beiträgt. All die bürokratischen Sperenzchen müssen eine Ende haben!
Alles verloren
Ein sehr rüstiger Rentner, der viel in der Geflüchtetenhilfe macht, hatte mich vor knapp 3 Wochen aufgeregt und ratsuchend angerufen. Ein ihm flüchtig bekannter Geflüchteter stand an einem kalten Januarmorgen leicht bekleidet und ziemlich wegtreten vor seiner Tür. Er sei völlig erschöpft und schlafe jetzt auf dem Sofa, so der Bericht. Ich machte mich am späteren Nachmittag auf den Weg in den Norden Berlins. Und tatsächlich war der Zustand an Erschöpfung frappant. Kaum aufgeweckt, sagte er ein paar undeutliche Dinge und schlief gleich wieder ein. Selbst ein zur Übersetzung gerufener Geflüchteter, der zugleich als Pflegehelfer arbeitet, konnte aus ihm nichts rausbekommen. Immerhin hatte er kein Fieber, auch der Puls war normal. Wir beratschlagten, ob man ihn in ein Krankenhaus bringen oder einfach weiter ausschlafen lassen sollte. Der Rentner erklärte sich bereit, ihn bei sich erholen zu lassen. Nach gut 24 Stunden wurde der Geflüchtete allmählich gesprächiger. Er habe, wohl nicht zum ersten Male, ein kompletten mentalen Zusammenbruch gehabt. Er sei an 2 Tagen hintereinander in der Rettungsstelle eines Krankenhauses gewesen und anscheinend beide Male vom Untersuchungstisch gesprungen und getürmt. Sämtliche Habseligkeiten, also Brieftasche und die darin befindlichen Ausweise, Smartphone und sein Rucksack waren verschwunden. Eine Verlustanzeige wurde gestellt, die Fundbüros Berlin angeschrieben. Es war viel und leider auch erfolglose Arbeit. Zumal sich immer mehr herauskristallisierte, dass er wohl mehrere Tage, vielleicht sogar eine Woche, ziellos durch Berlin irrte. Was all das ausgelöst hat, ist bis heute unklar. Fest steht, dass er bei Rückkehr in sein Wohnheim bereits die fristlose Kündigung der Zeitarbeitsfirma vorfand, weil er unentschuldigt nicht zur Arbeit erschienen war. Im Moment hängt er einigermaßen in der Luft. Von dem Geld, was ihm die Firma noch schuldet, wird er wohl nicht viel sehen, weil ein guter Teil davon als Vertragsstrafe einbehalten wird. Immerhin hat er mittlerweile eine Bankkarte, eine neue Krankenversicherungskarte und auch einen neuen Aufenthaltstitel bekommen. Aber neben diesen zu ersetzenden Dingen und der finanziellen Misere stellt sich halt auch die Frage, ob er bei all dem nicht auch sich selbst und all die mühsam aufgebaute Stabilität verloren hat. Jetzt, wo sich das unmittelbare Chaos legt, werde ich vor allem versuchen, ihn zu einer psychosozialen Beratung zu bewegen.
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Immer locker bleiben, Sisyphos!
Immer locker bleiben, muntern wir uns auf. Aber momentan ist nichts einfach und alles kompliziert. Doch lest selbst, warum wir uns wie Sisyphos fühlen.
Vorab eine große Bitte: Unsere Spendenkasse (PayPal.Me/neukoellnhilft) ist leer. Zögert also nicht, wenn ihr helfen wollt und könnt, denn… Weihnachten naht!
Tausend Sorgen und kein Cent
Die letzten Monate habe ich so einiges an Hirnschmalz investiert, um den Schuldenberg eines Geflüchteten zu überblicken. So einige der bösen Briefe sind auf das Fahren ohne Ticket zurückzuführen, doch da sich der Geflüchtete auch verbal mit der Polizei angelegt hat, weil er sich rassistisch behandelt fühlte, waren auch die einige Brief von Staatsanwaltschaft und Gericht dabei. Die Tagessätze, zu denen er verurteilt wurde, lassen wenig Hoffnung zu. Dazu gesellt sich noch die eine oder andere schikanöse Forderung des Landkreises. Das Arbeitsverbot, mit dem er zudem von der Ausländerbehörde belegt wurde, zwingt ihn zur Untätigkeit. Und die Sorgen ertränkt er in Alkohol. Es ist schade, denn er ist ein kluger und zugleich charismatischer Kerl. Nun war der Plan, dass ich Ratenzahlungen aushandle und er durch eine illegale Beschäftigung Geld verdient, um mindestens 150 Euro im Monat abzustottern. So weit die Theorie. Dieser Tage nun rief er mich an und teilte mir mit, dass es mit der Arbeit nichts wird und er somit die ausgehandelten Ratenzahlungen nicht leisten könne. Dass es für ihn scheinbar keine Lösung gibt, ist extrem betrüblich. Ja, mit seiner impulsiven und aufmüpfigen Art steht er sich selbst im Wege. Aber nein, sein Leben müsste so bescheiden nicht sein. Ich bin ratlos.
Hausverbot in der VHS
Das ist mir so auch noch nicht untergekommen. Dass mir ein Brief vor die Nase gehalten wird, in welchem ein brandenburgische VHS gegenüber einer geflüchteten Frau ein Hausverbot ausspricht. Die Frau war allem Anschein nach nicht zum ersten Mal verbal mit dem Dozenten des Integrationskurses aneinandergeraten, fühlte sich schlecht behandelt. Als die Lehrkraft begann, den Wortwechsel per Smartphone zu filmen, kam es zur Eskalation. Die Frau wurde des Kurses verwiesen und wollte den Raum nicht verlassen, weshalb die Polizei eingeschaltet wurde. So das Bild, welches sich durch die Schilderung der Geflüchteten und der von mir erbetenen Stellungnahme der Direktorin der VHS ergibt. Ich habe natürlich versucht, bei der VHS eine Aufhebung des Hausverbots und die Versetzung in einen anderen Kurs zu erwirken. Leider ohne Erfolg. In der Antwort hielt man der Geflüchteten vor, dass sie nicht regelmäßig am Kurs teilgenommen habe. Die Geflüchtete wiederum argumentiert, dass sie teils deshalb nicht kommen hatte können, weil ihre Kinder daheim krank gewesen wären. Das Problem. welches sich nun stellt, ist der Mangel an alternativen Kursangeboten im Landkreis. Für mich bleibt der Eindruck, dass die Geflüchtete hier von der VHS im Stich gelassen wurde. Die Andeutung der Leitung, dass die Geflüchtete aufgrund familiärer Probleme derzeit mit einem Integrationskurs überfordert wäre, halte ich für problematisch. Die mir bekannten Probleme der Familie bestanden zumindest 2021 darin, dass die Kinder der Familie den Selbstmord eines befreundeten, geflüchteten Nachbarn quasi live miterleben mussten und viel darüber sprachen. Fassen wir also zusammen: Die Frau hat es nicht leicht und statt konstruktiven Hilfsangeboten werden ihr immer weiter Steine in den Weg gelegt. Es ist eine Schande!
Die Last der Unterhaltungsverpflichtungen
Müde schaute der Geflüchtete aus, als ich ihn dieser Tage vormittags in einem Kreuzberger Cafe traf. Er kam gerade aus der Nachtschicht eines prekären Knochenjobs. Trotz Zulagen darf er sich am Ende des Monat nur über 1400 Euro netto freuen. Und dann ist da noch der Wisch vom Jugendamt, wonach er für seine beiden Kinder, die er wochenends sehen darf, gefälligst Unterhalt zu zahlen hat. Nach Jahren, in denen er von Sozialleistungen abhängig war, gelang ihm diesen Sommer der Einstieg ins Berufsleben. Im Sommer schien noch alles gut zu werden. Er freute sich, endlich arbeiten zu dürfen, selbst ein Zimmer in Berlin hatte er gefunden. Doch nun soll er 232 Euro monatlich an Unterhalt und zudem bereits aufgelaufene Schulden an die Unterhaltsvorschusskasse in Raten bezahlen. Er zeigte mir seine Kontoauszüge, bejammerte gestiegene Wohn- und Stromkosten, zählte mir seine Verpflichtungen – er muss auch seine Familie in der Heimat helfen – auf. Da bleibt für ihn so gut wie nichts. Ich habe jetzt in einem Akt von Ratlosigkeit nochmals um eine Überprüfung des ermittelten Unterhalts angesucht und allerlei Belege hingeschickt. Er schöpfte Hoffnung. Müde freilich war er immer noch.
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Lache, wenn es nicht zum Weinen reicht
Es ist wieder einmal Zeit, euch zu berichten, was uns so umtreibt. Wir würden uns sehr freuen, wenn ihr die eine oder andere Minute für diese Einblicke in unser Tun erübrigen könnt.
Wie immer ist damit die Bitte um Unterstützung verbunden. Die Zeiten sind hart und natürlich dreht man jetzt jeden Spendenpfennig mehr als dreimal um. Wenn ihr etwas entbehren könnt und wollt, zögert bitte nicht. Ohne falsche Bescheidenheit: Unser Einsatz ist oft der letzte Strohhalm für Geflüchtete! Hier der Link: https://paypal.me/neukoellnhilft
Briefe im Zug nach Nirgendwo
Beginnen wir mal mit einer Geschichte aus der Kategorie Pleiten, Pech und Pannen. Im August habe ich mir die Finger wund geschrieben, um einen Geflüchteten aus dem gröbsten Schlamassel rauszupauken. Ein Brief an eine Staatsanwaltschaft, ein Wisch an ein Amtsgericht und zwei Schriebe an Inkassofirmen. Der Geflüchtete, dem ich da helfen musste, ist kein schlimmer Finger. Nur jemand, der ein Jahr lang keine Briefe geöffnet hatte und etwa wegen wiederholtem Fahren ohne gültigem Ticket ordentlich in die Bredouille geriet. Keine Frage, das wäre eigentlich ein Fall für einen Anwalt gewesen. Der Sturkopf wollte jedoch partout keinen Anwalt haben. Ich war eigentlich recht zuversichtlich, dass sich schon alles lösen lassen würde. Spätestens seit Ende September begann ich mir jedoch Sorgen zu machen. Der Geflüchtete war telefonisch schwer bis gar nicht erreichbar, ließ vereinbarte Termine platzen und schien leider wieder dem Alkohol zuzusprechen. Längst hatten sich Antwortschreiben angesammelt, die er mir zeigen wollte. Und natürlich kam, wie es kommen musste. Ein erneuter Anlauf eines Treffens gipfelte darin, dass der Geflüchtete die Tasche mit den Briefen der vergangenen Wochen, zehn Stück sollen es gewesen sein, im öffentlichen Nahverkehr verlor. Und seither nicht wieder bekam. Nun also gilt es, die angeschriebenen Behörden und Inkassofirmen nochmals zu kontaktieren. Das wird ein Spaß. Traurig freilich ist, dass der Geflüchtete eigentlich ein sehr helles Köpfchen mit charismatischem Auftreten ist. Wie schade, dass ihn Arbeitsverbote in die Perspektivlosigkeit driften haben lassen. Und der Alkohol tut sein Übriges!
Ding-Dong-Ping-Pong
Geflüchtete haben eine Mitwirkungspflicht bei der Feststellung ihrer Identität. Wer keine Bemühungen bei der Passbeschaffung nachweisen kann, kommt über eine Duldung nicht hinaus. Doch wie sieht die Chose aus, wenn Ausländerbehörden selbst die Passbeschaffung sabotieren? Wir sind gerade mit zwei Fällen konfrontiert, bei denen zwei brandenburgische Ausländerbehörden die beigebrachten Originale von Geburtsurkunden einbehalten haben und den Geflüchteten lediglich eine mit Stempel versehene Kopie ausgehändigt haben. Doch ein Ding Dong bei der Botschaft bringt halt leider nichts. Weil besagte Botschaft gerne das Original der Geburtsurkunde vorgelegt bekommen will. Und wenn die Geflüchteten dann mit dieser Info bei der Ausländerbehörde aufschlagen, bekommen sie das Original der Geburtsurkunde freilich nicht ausgehändigt, sondern werden erneut an die Botschaft verwiesen. Dieses Ding-Dong-Ping-Pong vermochte bisher auch ein hinzugezogener Anwalt nicht zu durchbrechen. Da mit den Duldungen in beiden Fälle auch explizite Arbeitsverbote einhergehen, sind die seit mehr als 7 Jahren in Deutschland befindlichen Geflüchteten zur Untätigkeit verdammt. Könnt ihr euch ausmalen, wie es diesen beiden Menschen geht?
Elephant in the room
Machen wir uns nichts vor, Lösungen lassen nicht nur dann finden, wenn Geflüchtete im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch daran mitwirken. Und natürlich gibt es Geflüchtete, die sich zu sehr darauf verlassen, dass man Probleme schon irgendwie für sie löst. Doch gibt es auch den umgekehrten Fall. Dass Geflüchtete von mehreren Seiten Unterstützung bekommen. Aber eben nicht in dem Maße, welches nötig wäre, um die Lebenssituation nachhaltig zu bessern. Der Geflüchtete, um den es nun konkret geht, hat mindestens eine Handvoll Unterstützer, an die er sich wenden kann. Trotzdem hat sich seine Situation wieder einmal zugespitzt. Er steht Anfang Dezember ohne Zimmer da. Seit einigen Monaten schon ist er mal hier und da untergeschlüpft, eine dauerhafte Lösung fand sich nie. Eine Kirchengemeinde half ihm mit einer Meldeadresse aus, wodurch zumindest sichergestellt wurde, dass er nicht zum U-Boot wird. Doch das bessert seine Situation kaum. Er verfügt zwar über einen langfristigen Aufenthaltstitel. In der Welt prekärer Jobs lässt er sich auch nicht unterkriegen. Zugleich kommt er mit essentiellen Dingen überhaupt nicht zurecht. Er schafft es zum Beispiel nicht, eigenständig eine Banküberweisung vorzunehmen. Er scheitert an Bürokratie. Er muss an Termine bei Fachärzten erinnert werden. Doch verpasst er diese auch. Zu besonders wichtigen Terminen wird er, der seit drei Jahren eine schwerwiegende Erkrankung hat, oftmals begleitet. Eine Lösung wäre wohl eine gesetzliche Betreuung, doch diesen Elephant in the room spricht niemand an. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Der Geflüchtete ist nicht doof, ihm fehlt es halt an Konzentration und Eigenständigkeit. Momentan bin ich gerade wieder dran, ihm aus der Patsche zu helfen. Er hat vermutlich in einer Behörde in Berlin seinen Aufenthaltstitel verloren. Verlustanzeige ist gemacht, Fundbüro ist angeschrieben und auch die Ausländerbehörde wurde um einen zeitnahen Termin für die Neuausstellung des Aufenthaltstitels gebeten. Einen WBS-Antrag zur Lösung seiner Wohnsituation habe ich ebenfalls ausgefüllt. Doch selbst wenn sich auf wundersame Weise eine Wohnung für ihn findet, der Elefant im Raum wird mit einziehen.