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Point of no Return & Durchgeknallt und obdachlos
Wir haben euch schon länger kein Update gegeben, was auch daran liegt, dass es derzeit an Negativität nicht mangelt und neben kleinen Erfolgen derzeit leider auch in unserem Tun eher mittlere und große Katastrophen dominieren. Wir werden in den nächsten Tagen mehrere Updates posten, vielleicht seid ihr trotzdem an dem einen oder anderen Schicksal interessiert:
Point of no Return
Einen jungen Mann aus dem Tschad (Baujahr 1999), wohnhaft in einem Städtchen im Westen Brandenburgs, haben wir lange Zeit mal mehr, mal weniger begleitet. Zumindest vor Corona hatten wir viel Hoffnung, was seine Perspektive in Deutschland angeht. Er wollte seinen Schulabschluss nachholen und träumte davon, Lokführer zu werden. Alles schien möglich. Doch gerade in den letzten drei Jahren ging alles den Bach runter. Er schmiss die Schule, gerade weil es während der ersten Lockdowns natürlich auch nicht so viele Möglichkeiten zur Nachhilfe gab, damit ging natürlich auch der Traum vom Lokführer flöten. Auch weitere Ausbildungsmöglichkeiten verliefen im Sande, in seinen Jobs, etwa bei Tesla als Gabelstaplerfahrer, wurde er auch nicht wirklich glücklich.
Dazu kamen private Probleme. Er hatte ein gemeinsames Kind mit einer Deutschen. Und obwohl diese 2022 in die Psychiatrie eingewiesen wurde, durfte er das Kind viele, viele Monate nicht sehen. Er hätte keinen Bezug zum Kind, argumentierte das Jugendamt. Erst Anfang diesen Jahres konnte er nach langem Hin und Her bei Gericht ein Umgangsrecht erwirken, eine Sorgerecht blieb in weiter Ferne. Ebenso quälte ihn, dass er noch immer eine Aufenthaltsgestattung hatte. Ein anwaltlicher Antrag, seine Klage gegen die Asylablehnung zurückzuziehen, um wenigstens den neu eingeführten Chancenaufenthalt zu bekommen, wurde laut Anwalt vom Gericht abgeschmettert. Sein Arbeitgeber Tesla, bei dem er beschäftigt war, hatte ihm zudem von einem Tag auf den anderen mitgeteilt, dass eine Arbeitserlaubnis nicht mehr für die Anstellung reichen würde, sondern er sofort einen Aufenthaltstitel vorlegen müsste. Als er diesen nicht beibringen konnte, wurde er entlassen.
Irgendwann im Lauf des Frühjahrs war er mit den Nerven fertig, der Point of no Return erreicht: Er würde zurück in den Tschad gehen, weil es seiner Familie nicht gut ging. Trotz aller Risken, trotz aller Probleme! Sein einziger Wunsch hier in Deutschland war es, wenigstens den teuren Flug in den Tschad irgendwie bezahlt zu bekommen. Doch Rückkehrhilfe ist in Brandenburg allem Anschein nach ein Fremdwort. Die Ausländerbehörde winkte ab und verwies ihn an die örtliche Beratungsstelle der Diakonie. Der Haken daran war, dass es diese Beratungsstelle längst nicht mehr gab. Ich hatte eher halbherzig in Berlin ein paar Institutionen angefragt, aber entweder waren diese nur für Berlin zuständig oder aber sie meldeten sich schlicht nicht zurück. Halbherzig habe ich hauptsächlich deshalb agiert, weil ich im Stillen hoffte, dass dies nur eine Laune des jungen Mannes sei und er sich wieder fangen würde.
Ende Mai schließlich erzählten mir befreundete Landsleute, dass der Geflüchtete tatsächlich in Tschad zurückgegangen war. Ich kontaktierte ihn per WhatsApp, er klang ungemein gelöst, so als würde er erst jetzt wieder daran glauben, irgendwie, irgendwo und vielen Widrigkeiten zum Trotz eine Zukunft zu haben. Er habe zwar selten Handyempfang und Strom gebe es im Dorf auch quasi nicht, er sei aber froh, in schweren Zeiten bei seiner Familie zu sein und helfen zu können. Die Passivität, die ihn hier in Deutschland in den Klauen hatte, war zugunsten des Gefühls, selbst anpacken und helfen zu können, gewichen.
Als Wermutstropfen bleibt ein Kind, dass ohne einen sehr liebevollen Vater als Menschen aufwachsen muss. Das System Deutschland hat einen intelligenten jungen Menschen weichgekocht und ausgespuckt, ihm selbst bei seiner Rückkehr in den Tschad noch einen Tritt in den Hintern verpasst.
Durchgeknallt und obdachlos
Dienstag früh nahm ich aufgrund eines Außentermins nicht den üblichen Weg zur Arbeit, sondern trieb mich müde und mit Kaffee bewaffnet in der Nähe des Ostbahnhofs rum, als ich plötzlich einen von einem Zeltlager in der Mitte einer kleinen Wiese winkenden Mann sah. Mit einem Mal war ich wach! Vor mir stand A., ein seit einigen Wochen verschollenes „Sorgenkind“. Er begrüßte mich auf Deutschland und generell die ganze Welt schimpfend.
Spulen wir mal zwei Jahre zurück. A., ein Tschader damals Anfang 30, hätte eigentlich einigermaßen froh sein können. Er hatte über die Vermittlung von jobs4refugees einen Job in einem Gartenbauunternehmen aufnehmen können. Er, der sich mehrere Jahre hatte gehen lassen und unzählige Strafen wegen Fahrens ohne Ticket angehäuft hatte, hatte zu diesem Zeitpunkt einen Unterstützer, der sich um mindestens ein Dutzend aufgelaufener Inkassoforderungen kümmerte. Ein Neustart nach bescheidenen Jahren schien möglich. Doch dazu kam es nicht. Denn wenige Tage vor Beginn des Jobs wurde er im Görlitzer Park überfallen und an der Schulter verletzt. Hallo Krankenhaus, adieu Job! Die Probleme mit der Schulter würden ihn noch einige Zeit begleiten. Er blieb der Pechvogel, der er auch schon zuvor gewesen war. Wobei Pech das ganze Schlamassel nur unzureichend beschreibt. A. zählte auch in der tschadischen Community schon länger zu den Abgehängten. Obwohl seit mindestens 2013 in Deutschland hatte er nie wirklich Deutsch gelernt, sondern sich ein Kauderwelsch angeeignet, was die Verständigung nicht immer einfach machte. Latent wohl länger vorhandene psychische Probleme wurden durch traumatisierende Erfahrungen verstärkt. Bei fast jeder Gelegenheit erzählte er die Geschichte eines länger zurückliegenden, mehrmonatigen Gefängnisaufenthalts. Bis heute kennt er den Grund dafür nicht. Er sei mit einem umtriebigen Supporter zu einem Gerichtstermin in Potsdam gebracht und dort länger befragt worden. Anschließend sei ihm gesagt worden, dass er gehen dürfe. Er sei mit dem Supporter dann aus dem Gerichtsgebäude geschlendert, nur um dann von einem Polizisten oder Angehörigen der Justizwache dann doch aufgehalten und in einer Wanne in ein Gefängnis gebracht zu werden. Dort habe man ihn mies behandelt, er hätte sich nackt ausziehen müssen und es wäre ein Ganzkörperröntgen gemacht worden. In seiner Zelle hätte er öfter Notizen auf arabisch auf einen Block gemalt. Dies führte dazu, dass er von einem Wächter fälschlich verdächtigt wurde, Al-Quaida nahezustehen. Er sei mehrfach verhört worden, ihm seien Bilder nackter Frauen gezeigt worden, vermutlich um eine Reaktion zu provozieren. So weit die nicht nachprüfbare Geschichte, wie er sie immer wieder erzählte.
Bevor wir das alles als Schauermärchen abtun, will ich mal die für mich nachprüfbaren Fakten darlegen. Es gab tatsächlich eine stark zerfledderte Bescheinigung von einem mehrwöchigen Aufenthalt in einer brandenburgischen Psychiatrie. Was in den mickrigen Unterlagen jedoch fehlte, war irgendein Hinweis darauf, dass er danach jemals wieder in psychiatrischer Behandlung war. Was auch immer der Auslöser für die Einweisung war, der mentalen Gesundheit wurde anschließend keine Aufmerksamkeit geschenkt. Nun hatte A. tatsächlich mehrere Jahre einen Anwalt, doch zu diesem konnte man nicht mehr gehen, um mehr über die Vorgeschichte zu erfahren. Der Anwalt hatte seine Tätigkeit aufgegeben, ein Nachfolger sollte zunächst die Kanzlei und das Mandat übernehmen. Die Kanzleiübernahme wurde jedoch abgeblasen und schließlich landeten die Akten bei einem eher für russischsprachige Mandaten agierenden Anwalt. Zu diesem wollte der Tschader keinerlei Kontakt, überhaupt traute er Anwälten nicht mehr über den Weg. Also blieb dieser Weg der Aufarbeitung außen vor.
Nicht hilfreich bei dem Versuch, A. wieder auf die Beine zu helfen, war der Umstand, dass der Mann öfter mal zu Drogen griff, zumindest Marihuanakonsum steht außer Zweifel. In von Drogen benebeltem Zustand war er zuvor schon mal aus Fenstern seiner Potsdamer Flüchtlingsunterkunft gefallen. Als er sich Anfang 2022 noch mit Supporter überwarf, schien dies kurzzeitig sogar ein Segen. Er hatte kein Geld für Drogen und blieb im Heim im Potsdam. Doch irgendwann Ende letzten Jahres dürfte er dann in ein betreutes Wohnen verlegt worden sein. Dort fühlte er sich allem Anschein nach nicht wohl, er kam wieder öfter nach Berlin, trieb sich an Treffpunkten der tschadischen Community herum und bettelte seine Landsleute um Geld an. Und das bringt uns nun wieder zu jenem Dienstagmorgen.
A. begrüßte mich also schimpfend. Seine Landsleute würden mit dem deutschen System unter einer Decke stecken. Alle, denen er früher vertraut hätte, hätten sich gegen ihn verschworen. Er sei zu oft „in den A*sch ge*ickt“ worden. Er lebe jetzt schon 2 Monate auf der Straße, schlafe entweder auf der Wiese nahe dem Ostbahnhof oder bei schlechtem Wetter in einem Park. Er habe alles, alles satt. Er wolle zurück in den Tschad, dort sei seine Familie angesehen, hätte früher sogar Könige gestellt. Mein Blick fiel auf seine verkrüppelten, nackten Füße. Seine Schuhe seien vom Regen des vergangenen Tages nass, er habe kaum etwas zum Anziehen, keine vernünftigen Schuhe und leider auch kein Geld für ein Ticket aus dem Elend. Ich musste weiter, ich versprach aber, ihn in den kommenden Tagen dort wieder aufzusuchen.
Durchgeknallt und obdachlos, so lautet das triste Fazit dieser Begegnung. Wie ich ihm helfen kann, ist mir nicht ganz klar. Falls jemand Kleidung in Größe M und Schuhe in der Größe 43 übrig hat, würde ich ihn wenigstens damit versorgen. Mehr an Hilfe scheint nicht möglich, ein tristes Ende vorprogrammiert. Mich persönlich hat dieses Zusammentreffen sehr traurig gestimmt.
Danke für das Lesen dieser Zeilen. Demnächst mehr, dann auch wieder mit ein paar Lichtblicken.
Wer unsere Arbeit unterstützen möchte, kann dies via Paypal tun: https://paypal.me/neukoellnhilft
Danke!
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Immer locker bleiben, Sisyphos!
Immer locker bleiben, muntern wir uns auf. Aber momentan ist nichts einfach und alles kompliziert. Doch lest selbst, warum wir uns wie Sisyphos fühlen.
Vorab eine große Bitte: Unsere Spendenkasse (PayPal.Me/neukoellnhilft) ist leer. Zögert also nicht, wenn ihr helfen wollt und könnt, denn… Weihnachten naht!
Tausend Sorgen und kein Cent
Die letzten Monate habe ich so einiges an Hirnschmalz investiert, um den Schuldenberg eines Geflüchteten zu überblicken. So einige der bösen Briefe sind auf das Fahren ohne Ticket zurückzuführen, doch da sich der Geflüchtete auch verbal mit der Polizei angelegt hat, weil er sich rassistisch behandelt fühlte, waren auch die einige Brief von Staatsanwaltschaft und Gericht dabei. Die Tagessätze, zu denen er verurteilt wurde, lassen wenig Hoffnung zu. Dazu gesellt sich noch die eine oder andere schikanöse Forderung des Landkreises. Das Arbeitsverbot, mit dem er zudem von der Ausländerbehörde belegt wurde, zwingt ihn zur Untätigkeit. Und die Sorgen ertränkt er in Alkohol. Es ist schade, denn er ist ein kluger und zugleich charismatischer Kerl. Nun war der Plan, dass ich Ratenzahlungen aushandle und er durch eine illegale Beschäftigung Geld verdient, um mindestens 150 Euro im Monat abzustottern. So weit die Theorie. Dieser Tage nun rief er mich an und teilte mir mit, dass es mit der Arbeit nichts wird und er somit die ausgehandelten Ratenzahlungen nicht leisten könne. Dass es für ihn scheinbar keine Lösung gibt, ist extrem betrüblich. Ja, mit seiner impulsiven und aufmüpfigen Art steht er sich selbst im Wege. Aber nein, sein Leben müsste so bescheiden nicht sein. Ich bin ratlos.
Hausverbot in der VHS
Das ist mir so auch noch nicht untergekommen. Dass mir ein Brief vor die Nase gehalten wird, in welchem ein brandenburgische VHS gegenüber einer geflüchteten Frau ein Hausverbot ausspricht. Die Frau war allem Anschein nach nicht zum ersten Mal verbal mit dem Dozenten des Integrationskurses aneinandergeraten, fühlte sich schlecht behandelt. Als die Lehrkraft begann, den Wortwechsel per Smartphone zu filmen, kam es zur Eskalation. Die Frau wurde des Kurses verwiesen und wollte den Raum nicht verlassen, weshalb die Polizei eingeschaltet wurde. So das Bild, welches sich durch die Schilderung der Geflüchteten und der von mir erbetenen Stellungnahme der Direktorin der VHS ergibt. Ich habe natürlich versucht, bei der VHS eine Aufhebung des Hausverbots und die Versetzung in einen anderen Kurs zu erwirken. Leider ohne Erfolg. In der Antwort hielt man der Geflüchteten vor, dass sie nicht regelmäßig am Kurs teilgenommen habe. Die Geflüchtete wiederum argumentiert, dass sie teils deshalb nicht kommen hatte können, weil ihre Kinder daheim krank gewesen wären. Das Problem. welches sich nun stellt, ist der Mangel an alternativen Kursangeboten im Landkreis. Für mich bleibt der Eindruck, dass die Geflüchtete hier von der VHS im Stich gelassen wurde. Die Andeutung der Leitung, dass die Geflüchtete aufgrund familiärer Probleme derzeit mit einem Integrationskurs überfordert wäre, halte ich für problematisch. Die mir bekannten Probleme der Familie bestanden zumindest 2021 darin, dass die Kinder der Familie den Selbstmord eines befreundeten, geflüchteten Nachbarn quasi live miterleben mussten und viel darüber sprachen. Fassen wir also zusammen: Die Frau hat es nicht leicht und statt konstruktiven Hilfsangeboten werden ihr immer weiter Steine in den Weg gelegt. Es ist eine Schande!
Die Last der Unterhaltungsverpflichtungen
Müde schaute der Geflüchtete aus, als ich ihn dieser Tage vormittags in einem Kreuzberger Cafe traf. Er kam gerade aus der Nachtschicht eines prekären Knochenjobs. Trotz Zulagen darf er sich am Ende des Monat nur über 1400 Euro netto freuen. Und dann ist da noch der Wisch vom Jugendamt, wonach er für seine beiden Kinder, die er wochenends sehen darf, gefälligst Unterhalt zu zahlen hat. Nach Jahren, in denen er von Sozialleistungen abhängig war, gelang ihm diesen Sommer der Einstieg ins Berufsleben. Im Sommer schien noch alles gut zu werden. Er freute sich, endlich arbeiten zu dürfen, selbst ein Zimmer in Berlin hatte er gefunden. Doch nun soll er 232 Euro monatlich an Unterhalt und zudem bereits aufgelaufene Schulden an die Unterhaltsvorschusskasse in Raten bezahlen. Er zeigte mir seine Kontoauszüge, bejammerte gestiegene Wohn- und Stromkosten, zählte mir seine Verpflichtungen – er muss auch seine Familie in der Heimat helfen – auf. Da bleibt für ihn so gut wie nichts. Ich habe jetzt in einem Akt von Ratlosigkeit nochmals um eine Überprüfung des ermittelten Unterhalts angesucht und allerlei Belege hingeschickt. Er schöpfte Hoffnung. Müde freilich war er immer noch.
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Lache, wenn es nicht zum Weinen reicht
Es ist wieder einmal Zeit, euch zu berichten, was uns so umtreibt. Wir würden uns sehr freuen, wenn ihr die eine oder andere Minute für diese Einblicke in unser Tun erübrigen könnt.
Wie immer ist damit die Bitte um Unterstützung verbunden. Die Zeiten sind hart und natürlich dreht man jetzt jeden Spendenpfennig mehr als dreimal um. Wenn ihr etwas entbehren könnt und wollt, zögert bitte nicht. Ohne falsche Bescheidenheit: Unser Einsatz ist oft der letzte Strohhalm für Geflüchtete! Hier der Link: https://paypal.me/neukoellnhilft
Briefe im Zug nach Nirgendwo
Beginnen wir mal mit einer Geschichte aus der Kategorie Pleiten, Pech und Pannen. Im August habe ich mir die Finger wund geschrieben, um einen Geflüchteten aus dem gröbsten Schlamassel rauszupauken. Ein Brief an eine Staatsanwaltschaft, ein Wisch an ein Amtsgericht und zwei Schriebe an Inkassofirmen. Der Geflüchtete, dem ich da helfen musste, ist kein schlimmer Finger. Nur jemand, der ein Jahr lang keine Briefe geöffnet hatte und etwa wegen wiederholtem Fahren ohne gültigem Ticket ordentlich in die Bredouille geriet. Keine Frage, das wäre eigentlich ein Fall für einen Anwalt gewesen. Der Sturkopf wollte jedoch partout keinen Anwalt haben. Ich war eigentlich recht zuversichtlich, dass sich schon alles lösen lassen würde. Spätestens seit Ende September begann ich mir jedoch Sorgen zu machen. Der Geflüchtete war telefonisch schwer bis gar nicht erreichbar, ließ vereinbarte Termine platzen und schien leider wieder dem Alkohol zuzusprechen. Längst hatten sich Antwortschreiben angesammelt, die er mir zeigen wollte. Und natürlich kam, wie es kommen musste. Ein erneuter Anlauf eines Treffens gipfelte darin, dass der Geflüchtete die Tasche mit den Briefen der vergangenen Wochen, zehn Stück sollen es gewesen sein, im öffentlichen Nahverkehr verlor. Und seither nicht wieder bekam. Nun also gilt es, die angeschriebenen Behörden und Inkassofirmen nochmals zu kontaktieren. Das wird ein Spaß. Traurig freilich ist, dass der Geflüchtete eigentlich ein sehr helles Köpfchen mit charismatischem Auftreten ist. Wie schade, dass ihn Arbeitsverbote in die Perspektivlosigkeit driften haben lassen. Und der Alkohol tut sein Übriges!
Ding-Dong-Ping-Pong
Geflüchtete haben eine Mitwirkungspflicht bei der Feststellung ihrer Identität. Wer keine Bemühungen bei der Passbeschaffung nachweisen kann, kommt über eine Duldung nicht hinaus. Doch wie sieht die Chose aus, wenn Ausländerbehörden selbst die Passbeschaffung sabotieren? Wir sind gerade mit zwei Fällen konfrontiert, bei denen zwei brandenburgische Ausländerbehörden die beigebrachten Originale von Geburtsurkunden einbehalten haben und den Geflüchteten lediglich eine mit Stempel versehene Kopie ausgehändigt haben. Doch ein Ding Dong bei der Botschaft bringt halt leider nichts. Weil besagte Botschaft gerne das Original der Geburtsurkunde vorgelegt bekommen will. Und wenn die Geflüchteten dann mit dieser Info bei der Ausländerbehörde aufschlagen, bekommen sie das Original der Geburtsurkunde freilich nicht ausgehändigt, sondern werden erneut an die Botschaft verwiesen. Dieses Ding-Dong-Ping-Pong vermochte bisher auch ein hinzugezogener Anwalt nicht zu durchbrechen. Da mit den Duldungen in beiden Fälle auch explizite Arbeitsverbote einhergehen, sind die seit mehr als 7 Jahren in Deutschland befindlichen Geflüchteten zur Untätigkeit verdammt. Könnt ihr euch ausmalen, wie es diesen beiden Menschen geht?
Elephant in the room
Machen wir uns nichts vor, Lösungen lassen nicht nur dann finden, wenn Geflüchtete im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch daran mitwirken. Und natürlich gibt es Geflüchtete, die sich zu sehr darauf verlassen, dass man Probleme schon irgendwie für sie löst. Doch gibt es auch den umgekehrten Fall. Dass Geflüchtete von mehreren Seiten Unterstützung bekommen. Aber eben nicht in dem Maße, welches nötig wäre, um die Lebenssituation nachhaltig zu bessern. Der Geflüchtete, um den es nun konkret geht, hat mindestens eine Handvoll Unterstützer, an die er sich wenden kann. Trotzdem hat sich seine Situation wieder einmal zugespitzt. Er steht Anfang Dezember ohne Zimmer da. Seit einigen Monaten schon ist er mal hier und da untergeschlüpft, eine dauerhafte Lösung fand sich nie. Eine Kirchengemeinde half ihm mit einer Meldeadresse aus, wodurch zumindest sichergestellt wurde, dass er nicht zum U-Boot wird. Doch das bessert seine Situation kaum. Er verfügt zwar über einen langfristigen Aufenthaltstitel. In der Welt prekärer Jobs lässt er sich auch nicht unterkriegen. Zugleich kommt er mit essentiellen Dingen überhaupt nicht zurecht. Er schafft es zum Beispiel nicht, eigenständig eine Banküberweisung vorzunehmen. Er scheitert an Bürokratie. Er muss an Termine bei Fachärzten erinnert werden. Doch verpasst er diese auch. Zu besonders wichtigen Terminen wird er, der seit drei Jahren eine schwerwiegende Erkrankung hat, oftmals begleitet. Eine Lösung wäre wohl eine gesetzliche Betreuung, doch diesen Elephant in the room spricht niemand an. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Der Geflüchtete ist nicht doof, ihm fehlt es halt an Konzentration und Eigenständigkeit. Momentan bin ich gerade wieder dran, ihm aus der Patsche zu helfen. Er hat vermutlich in einer Behörde in Berlin seinen Aufenthaltstitel verloren. Verlustanzeige ist gemacht, Fundbüro ist angeschrieben und auch die Ausländerbehörde wurde um einen zeitnahen Termin für die Neuausstellung des Aufenthaltstitels gebeten. Einen WBS-Antrag zur Lösung seiner Wohnsituation habe ich ebenfalls ausgefüllt. Doch selbst wenn sich auf wundersame Weise eine Wohnung für ihn findet, der Elefant im Raum wird mit einziehen.
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Mama und Kind brauchen Hilfe (Archäologie-Edition)
Liebe Leute,
unsere Arbeit erinnert uns manchmal auch an archäologische Grabungen. Und kaum kümmern wir uns um das, was man freigelegt hat, kommt ein Regenschauer und schwemmt etwas Neues zum Vorschein. Und das ist leider nicht immer erfreulich.
Archäologe ist natürlich ein toller Beruf. Vor allem für die, die als Jugendliche Agatha Christie verschlungen haben. Neugier und Forscherehrgeiz sind natürlich auch in der Flüchtlingshilfe unabdinglich. Es kommen Hilfesuchende mit ein, zwei oder drei Problemen zu uns. Sobald wir dann schon vier oder fünf der Probleme gelöst haben, tauchen Artefakte aus einer Zeit auf, in der sich niemand um nichts gekümmert hat. Aus einer Zeit, als die Betroffenen verdrängten oder kopflos agierten. So gab es nach der großen Flucht der Mutter nach Deutschland noch eine zweite Flucht vor häuslicher Gewalt von Sachsen nach Niedersachsen. Stromanschluss oder Kabelanschluss liefen an der alten Adresse auf den Namen der Mutter weiter, nur ein Teil der Briefe kam da an, wo er ankommen sollte. Eigentlich dachten wir, wir hätten ganz gut aufgeräumt. Blöd nur, dass jetzt eine Pfändung auf dem Konto liegt! Das hatten wir so dann doch nicht kommen sehen. Kurzum, wir müssen aus der Ferne jetzt helfen, ein P-Konto (P steht für Pfändungsschutz) einzurichten. Und da das Konto derzeit noch eingefroren ist, werden wir bis zur Klärung mit Einkaufsgutscheinen aushelfen.
Klar werden wir da noch etwas mit Ratenzahlung zu vereinbaren versuchen. Und prinzipiell sind wir ja auf einem guten Weg, einige Altlasten sind bereits abgetragen und trotz gestiegener Lebenshaltungskosten kommen Mutter und Kind mit ein wenig Unterstützung ganz gut über die Runden. Wenn aber einer ursprünglicher Ausstand von um die 250 Euro sich über die Zeit aufs Doppelte aufgebläht hat, dann müssen auch wir schlucken.
Wir würden uns freuen, wenn es uns mit eurer Hilfe möglich wäre, Mutter und Kind unter die Arme zu greifen und von dieser Altlast zu befreien. Denn natürlich ist auch ein Pfändungsschutz keine Dauerlösung. Eine Schuldnerberaterin, mit der wir immer wieder mal plaudern, meinte erst letztens ein wenig salopp, dass es sich mit Schulden ganz gut leben lässt, wenn man die Nerven dazu hat. Für Mutter und Kind, die gerade jetzt Stabilität brauchen, sind solch briefliche Hiobsbotschaften natürlich Gift.
Falls ihr Mutter und Kind helfen wollt, dann tut das bitte unter diesem Link: PayPal.Me/neukoellnhilft
Vielen Dank fürs Lesen dieser Zeilen. Und ja, wir würden uns auch wünschen, bei unserer archäologischen Arbeit auch mal die ganz großen finanziellen Schätze auszubuddeln. Möge der Tag mal kommen!