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    Der faule Flüchtling

    Was sind das für Menschen, die uns, glaubt man der Politik, derzeit schwer auf der Tasche liegen, gefühlt an allem schuld sind? Schauen wir uns doch die Biografie eines Geflüchteten an. Von Rechten würde er, nennen wir ihn M., wohl als Parasit angefeindet werden. Von Realo-Grünen eher als jemand wahrgenommen werden, der die Integration in Deutschland nie geschafft hat und damit leider sein Recht auf Aufenthalt verwirkt hat.

    M. kam mit Mitte 30 nach Europa, zuerst nach Italien, ehe er nach Deutschland weiterzog. Er stammt aus der Sahararegion, spricht neben der Muttersprache seiner Ethnie noch annehmbar Arabisch. In seiner Heimat hat er hauptsächlich die Koranschule besucht, immerhin Lesen und Schreiben gelernt. Von Jugend an hat er in der Landwirtschaft gearbeitet, später hat er Teppiche verkauft. Mit Ende 20 ging er nach Libyen, war dort als Reinigungskraft tätig.

    Er ist wie viele schwarze Gastarbeiter von den Wirren des Gaddafi-Sturzes überrascht worden. Wie viele Geflüchtete wurde er in einer feindlichen, im Aufruhr befindlichen Umgebung quasi auf die Boote Richtung Europa gezwungen. Eine Rückkehr in die Heimat war auch keine Option, weil es dort Ende der 2000er einen Rebellenaufstand gab. Noch dazu hätte er, der an der libyschen Küste arbeitete, ganz Libyen durchqueren und mit leeren Händen zu seiner Ehefrau zurückkehren müssen. Also ging es nach Italien.

    Er hatte Glück, sein Boot kam an. In Italien gab es zwar Aufenthaltspapiere, jedoch keine Zukunft. Also ging er nach Deutschland, wo er seit 10 Jahre ist. Aufgrund seiner Herkunft ist das Bundesland Brandenburg für ihn zuständig. Er landete in einem Landkreis, dessen Verwaltung Geflüchteten besonders wenig Unterstützung bietet. Er stammt aus einem der ärmsten Länder der Welt stammt, welches seit Jahr und Tag diktatorisch beherrscht wird. Gehört dazu noch einem Volksstamm an, aus dem sich der größte Teil der Rebellen rekrutiert. Trotzdem erhielt M. wie alle seine Landsleute in Deutschland einen negativen Asylbescheid.

    Er, der eigentlich nie nach Europa wollte, war da schon Mitte 30. Und brachte schon kurz nach der Ankunft nicht mehr die nötige Energie und Fantasie auf, sich eine Zukunft hier auszumalen. In all den Jahren gab es nur 2016 einen Hoffnungsschimmer. Er durfte einen Sprachkurs absolvieren und sogar ein Praktikum in einem holzverarbeitenden Betrieb machen.

    Zu mehr als A1 hat es bei M. nie gereicht. Und als die Euphorie des „Wir schaffen das“ abgeklungen war, wurde auch er wieder aufs Abstellgleis geschoben. Mit Duldung und ohne Perspektive. Arbeiten durfte er nicht. Vielen seiner Landsleute im Landkreis gelang irgendwann der Absprung nach Berlin. Sie fanden Arbeit, ergatterten Aufenthaltspapiere. Gründeten teils sogar Familien. Ihm gelang all das nie. Man müsste ihn für völlig bescheuert halten, würde man glauben, dass er die Fortschritte der Anderen nicht mitbekommen hätte. All das hat an ihm genagt!

    Zu Beginn der Corona-Pandemie fühlte er sich noch isolierter. Und so zwischen Lockdowns beschloss er deshalb, die Provinz Brandenburgs hinter sich zu lassen und nach Frankreich zu gehen. Über die nächsten 18 Monate will er nicht sprechen. Sicher ist, dass er trotz einer weitaus größeren Community auch dort nicht glücklich wurde. Jedenfalls kam er zurück und hoffte, dass niemand seine Abwesenheit bemerkt hätte.

    Dem war natürlich nicht so. Er kam in einem Heim in einem anderen Landkreis unter. An seinem Status, also geduldet und ohne Arbeitserlaubnis, hatte sich nichts geändert. Dafür hat er jetzt ein Verfahren wegen illegalem Aufenthalts (§95 Abs.1. Nr. 1 AufenthG) an der Backe. Die ermittelnde Behörde mag vielleicht nicht wissen, dass er in Frankreich war. Aber selbst wenn sie dies wüsste, wäre nichts gewonnen, dann wäre er wegen illegaler Einreise dran.

    Besonders bitter: Durch diese Lücke, in der er für die deutschen Behörden nicht greifbar war, hat er auch keine Chance auf den Chancenaufenthalt (§104 c). Dieser besagt, dass Geflüchtete, die mit 31.10.2022 mindestens 5 Jahre in Deutschland waren, Aufenthalt für 18 Monate bekommen. In dieser Zeit sollen sie sich Deutsch auf B1-Niveau aneignen, einen Job finden und einen Heimatpass auftreiben. Ist all das nach 18 Monaten erfüllt, winkt längerer Aufenthalt.

    Es wäre auch ohne die vertane Chance auf §104c ein langer Weg gewesen. Die Passbeschaffung ist mühsam, der Spracherwerb sowieso. Dieser Tage hatte ich ein Gespräch mit dem Anwalt, den ich M. besorgt hatte. Die Aussichten sind mau. Am Status quo wird sich so schnell nichts ändern. Eine Abschiebung in das Herkunftsland ist unwahrscheinlich, auch eine Arbeitserlaubnis wird er nicht bekommen.

    Er ist nun Mitte 40. Vor über 15 Jahren ist er von daheim weggegangen, jetzt mit leeren Händen zurückzukehren, wäre auch bitter. Vor allem die Erkenntnis, dass dort niemand auf ihn gewartet hat. Und so ist er weiter ein fauler Flüchtling, in den Augen vieler Politiker*innen ein Integrationsversager. Diese Einschätzung wird aber momentan seine geringste Sorge sein. M. ist zu sehr damit beschäftigt, Zeit totzuschlagen.

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    In der Region Cottbus begegnet man dem Fachkräftemangel kreativ…

    Ich hatte bereits über einen Geflüchteten berichtet, der von einer Solaranlagenfirma in Brandenburg seit Herbst 2022 einen unbefristeten Arbeitsvertrag vorliegen hat. Das Angebot steht noch immer, aufgrund der Vorkenntnisse im Bezug auf Elektroinstallationen ist der Geflüchtete ein gefragter Mann. Er könnte jederzeit die Arbeit aufnehmen, im Moment hindert ihn eine keine Mätzchen auslassende Ausländerbehörde. Das Arbeitsverbot liegt schwer auf dem Gemüt.

    Immer neue Gründe werden von der Behörde für die Weigerung ins Feld geführt. Kaum dass die eine Nebelkerze vom Anwalt des Geflüchteten als eben solche entlarvt wird, zündet die Behörde schon die nächste. Das ist ärgerlich und zieht sich schon über das gesamte Jahr 2023 hin.

    Seit dieser Woche hat die Farce eine neue Wende genommen. Eine an das Heim angedockte Sozialberatung hat dem Geflüchteten einen 1-Euro-Job angeboten, wenn er, der einen Führerschein hat, mit einem Transporter Fahrten unternimmt. Also etwa der örtlichen Tafel Essen liefert. Man würde das mit den zuständigen Behörden schon abklären. Noch liegt laut dem Geflüchteten nichts Schriftliches vor, kein Arbeitsvertrag, nichts! Fahrten hat er aber schon absolviert. Der bisherige Fahrer sei nämlich kurzfristig krank geworden.

    Es kann nicht sein, dass die Vollzeitstelle bei der Solarfirma unbesetzt bleibt. Dem Geflüchteten die Arbeitserlaubnis seitens der Ausländerbehörde aus fadenscheinigen Gründen verweigert wird. Er würde bei Arbeitsaufnahme sofort aus dem Leistungsbezug fallen. Wäre das nicht toll?

    Stattdessen wird er holterdipolter in einen 1-Euro-Job gesteckt! Noch bevor er irgendeinen Vertrag oder die Zustimmung der Ausländerbehörde in Händen hält. Er lenkt ein Fahrzeug, ohne dass da etwas in puncto Versicherung geklärt wäre. Macht euch das auch fassungslos?

    Falls ihr zufällig gerade auf die Montage eurer Solaranlage ewig wartet, denkt bitte daran, dass die Fachkraft, die dies könnte, stattdessen womöglich in just in dem Moment im Raum Cottbus in einem Transporter sitzt und Essen zur Tafel fährt…

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    Gesundheitssystem schadet der Gesundheit

    Heute wollen wir uns mal kurz mit Geflüchteten und dem deutschen Gesundheitssystem beschäftigen. Triggerwarnung, es wird unschön! Wir haben genug Erfahrungen gemacht, um zu sagen, dass dies keine Einzelfälle sind. Ein roter Faden zieht sich durch meine Gesprächen mit Geflüchteten: Die Diskrepanz zwischen dem, was mir von Gesprächen mit Ärzt*innen berichtet wird, und den Diagnosen, die sich dann schwarz auf weiß in Arztbriefen finden.

    Beginnen wir gleich mal mit einem Denkfehler, der in vielen Praxen und Kliniken weit verbreitet ist. Patient*innen sind nicht in einer Bittstellerfunktion. Kommunikation ist keine Einbahnstraße. Es ist nicht allein die Aufgabe von Patient*innen, kommunikative Schwierigkeiten zu überwinden. Doch genau das wird zu oft erwartet. Selbst wenn sich Geflüchtete um bestmögliche Kooperation bemühen, kommen nicht selten Missverständnisse dabei heraus. Zum Aufwärmen fangen wir mit einer eigentlichen Lappalie an.

    Es dreht sich um eine IGeL-Leistung im Rahmen einer Schwangerschaftsuntersuchung bei der Gynäkologin. Ein externes Labor sollte einen Wert bestimmen. So weit, so gut. Doch kam die Rechnung nie an, angeblich wegen ungenügender Adressdaten. Die Mahnung kam an, just in der Zeit der turbulenten Geburt. Sie wurde im Tohuwabohu übersehen. Zwei Monate später folgte dann ein Inkassoschreiben einer darauf spezialisierter Anwaltskanzlei. Eine simple IGeL-Leistung wurde so extrem aufgebläht. Eine Nachfrage beim Labor, das all das beauftragt hatte, bezüglich Kulanzlösung wurde abgeschmettert. So schnell wie ein Medizinlabor Fälle ins Inkasso schickt, kenne ich das nicht mal von abzockenden Mobilfunkunternehmen.

    Problematischer ist da schon eine Geburt in einer Berliner Klinik, bei der sich Ärzt*innen und Pflegepersonal nicht die Mühe machten, eine Geburtseinleitung und den Kaiserschnitt der werdenden Mutter wirklich zu erklären. Die Mutter litt noch Wochen später an den Folgen. Und der Vater sprach erst Wochen später darüber, wie er vom Pflegepersonal angefaucht wurde, als er darum bat, sein Kind sehen zu dürfen. In einem stressigen Krankenhaussetting Frustrationen an denen auslassen, die sich vermutlich nicht wehren, ist falsch.

    Mit Schrecken erinnere ich mich noch an eine Abtreibung, die ich aus der Ferne begleitet habe. Es war eine schwere Entscheidung, mitten in der Pandemie, in einem Landkreis, in dem es gerade gar keine Unterstützung hinsichtlich Schwangerschaftsabbruch gab. So geriet natürlich auch die vorherige Beratung per Telefon zur Farce. Und als wäre das nicht schlimm genug, musste die Frau dann noch in der Ambulanz ewig unter unwürdigen Umständen auf den Eingriff warten. Schlimm! Bis heute mache ich mir Vorwürfe, dies nicht besser eingefädelt zu haben.

    Unvergessen ist auch der Fall eines Kindes, das im Mutterleid starb und in einer Berliner Klinik tot geboren wurde. Auch hier schickte die Klinik eine völlig überforderte Mutter kurz danach zurück in eine Brandenburgische Flüchtlingsunterkunft. Da ihr Mann sie natürlich aus Sorge begleitete, war ich dann allein mit dem Bestatter beim Begräbnis auf einem Berliner Friedhof. Die Frau erholte sich psychisch lange nicht davon. Therapeutische Hilfe wurde ihr in Brandenburg nicht zuteil.

    Ich habe schon sehr depressive Geflüchtete in Psychiatrische Institutsambulanzen begleitet, die dort mit einer banalen Diagnose und netten Worten abgespeist wurden. Man sei nicht zuständig, weil der Geflüchtete nicht in Berlin wohne. Weiterbehandlung sollte in Brandenburg erfolgen. Ich habe oft genug erlebt, dass Ärzt*innen ungeniert Geld für Atteste von Geflüchteten verlangen. Oder Medikamente auf blauen und grünen Rezepten verschreiben. Woher sollen Menschen, die ohnehin nur geringe Leistungen erhalten, das Geld dafür nehmen?

    Das bringt mich zu einem tragischen Fall. Ein Geflüchteter mit massiven Hornhautproblemen (Schwerbehindertengrad 100) konnte nach einer OP in einer Berliner Klinik endlich wieder besser sehen. Er erhielt Rezepte mit teuren Medikamenten, die er zur Nachsorge dauerhaft nehmen sollte. Ich organisierte eine einmalige finanzielle Unterstützung von 300 Euro über einen kirchlichen Härtefonds. Ein befreundeter Supporter übernahm die Medikamentenkosten für weitere drei Monate. Doch als kein Geld mehr da war, nahm der Geflüchtete die nötigen Medikamente einfach nicht mehr. Resultat war eine massive Verschlechterung der Augen, ein weiterer stationärer Aufenthalt in einer Klinik wurde nötig. Es ist Stand jetzt zu befürchten, dass er dauerhaft auf einem Auge blind sein wird. Natürlich mache ich mir auch Vorwürfe, beim zuständigen Sozialamt nicht mehr Druck auf eine Kostenübernahme gemacht zu haben.

    Das ist nur ein kleiner Einblick. Ich könnte auch Geschichten darüber erzählen, wie einem Geflüchteten ein falscher Zahn gezogen wurde. Oder von Ärzte berichten, die eine weibliche Begleitpersonen als Partnerin des Geflüchteten abtun, anzügliche Kommentare inbegriffen. Über die Kommunikation mit Krankenkassen könnte ich sogar einen Roman verfassen. Spoiler-Alert: AOK Nordost und Barmer kämen nicht so gut weg.

    Fazit: Ein Gesundheitssystem, dass auch ohne sprachliche Barrieren, Menschen oftmals unzureichend bis schlecht behandelt, zeigt sich gegenüber Geflüchteten natürlich oft völlig unsensibel.

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    Arbeitspflicht für Geflüchtete (Ein Rant)

    Ich bekomme gerade so einen Hals, wenn ich vom Vorschlag einer Arbeitspflicht für Geflüchtete höre. Ich schildere euch mal einen Fall und lasse euch dann gern beurteilen, ob es nicht wichtiger wäre, auf ein Recht auf Arbeit zu pochen.

    Ein Geflüchteter aus einem afrikanischen Land ist seit bald 10 Jahren hier in Deutschland. Er hat Deutschkurse besucht, war ehrenamtlich als Übersetzer tätig. Hat eine Einstiegsqualifizierung zum Anlagenmechaniker absolviert, stand bei den Firmen, bei denen er arbeitete, hoch im Kurs.

    Was als Erfolgsgeschichte begann, wurde vor mehreren Jahren durch ein Arbeitsverbot der zuständigen Ausländerbehörde jäh gestoppt. Seitdem geht es dem Mann psychisch immer schlechter. Sämtliche Versuche, dieses Arbeitsverbot aufheben zu lassen, scheiterten an einer sturen Ausländerbehörde.

    Auch ein eingeschaltener Anwalt konnte nichts erwirken, trotz der Absichtserklärung einer Firma aus der Solarbranche ihn sofort einstellen zu wollen. Das war vor einem Jahr. Der Anwalt änderte seine Strategie. Die Duldung sollte zugunsten eines Chancenaufenthalts nach § 104c weichen. Doch weigerte sich die Ausländerbehörde, diesem Antrag stattzugeben. Es sei ein Sperrvermerk wegen laufender staatsanwaltlicher Ermittlungen in der Akte. Also musste der Anwalt dort erst mal mühsam nachforschen. Von dort kam schließlich die Mitteilung, dass das Verfahren wegen vermeintlich illegaler Einreise bereits vor einem Jahr eingestellt worden war. Eine Mitteilung an die Ausländerbehörde unterblieb.

    Nun sollte doch wohl endlich alles klappen, oder? Nein, die Ausländerbehörde bearbeitet den Chancenaufenthalt jetzt wohl, doch bis zur Gewährung hat der Geflüchtete weiter eine Duldung. Und so gehen die Mätzchen weiter. Eine Arbeitsaufnahme mit Duldung würde jedoch nur dann erlaubt werden, wenn der Geflüchtete Bemühungen bezüglich Passbeschaffung nachweisen würde. Die hatte er jedoch in der Vergangenheit bereits nachgewiesen.

    Fun fact: Den Job bei der Solarfirma könnte der Geflüchteten weiterhin sofort antreten, weil er bereits über Qualifikationen verfügt und solche Bewerber in Brandenburg händeringend gesucht werden.

    Fazit: Dieser Fall mag in seiner Absurdität zwar hervorstechen, doch muss ich oft um eine Arbeitserlaubnis für Geflüchtete in Brandenburg kämpfen. Solang Ausländerbehörden solch Zirkus hinsichtlich einer Arbeitserlaubnis veranstalten, soll mir niemand mit einer Arbeitspflicht kommen.

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    Aus unserer Beratungspraxis (III)

    Heute mal wieder Haarsträubendes aus unserer Beratung und Begleitung…

    Die Nachwirkungen von Zeitarbeit

    Ein geflüchteter Mann mit Duldung, in seiner Heimat früher als Lehrer tätig, erhielt im Sommer 2022 von einem Bekannten den Tipp, doch bei einer Zeitarbeitsfirma in Brandenburg anzuklopfen, um die zuständige Ausländerbehörde eines brandenburgischen Landkreises dazu zu bringen, ihm aufgrund eines konkreten Jobangebots eine Arbeitserlaubnis zu geben. Er ging hin, die Zeitarbeitsfirma versprach, sich mit der Behörde in Verbindung zu setzen. Wenig später kam schon der Anruf der Firma, alles sei in trockenen Tüchern, er dürfe anfangen. So arbeitete er circa 1 Monat bei der Zeitarbeitsfirma, ehe es dann bei einem regulären Termin bei der Ausländerbehörde richtig ungemütlich wurde. Denn da wusste man nichts von einer angeblichen Arbeitsgenehmigung und verpasste ihm bei der Verlängerung der Duldung gleich ein striktes Arbeitsverbot. Als ich damit befasst wurde, wollte ich bei der Zeitarbeitsfirma ordentlich Krawall machen. Der Geflüchtete hatte jedoch Sorge, dann den noch ausstehenden Lohn nicht zu erhalten. Also hielt ich still.

    Nun ein Jahr später ist die Sache noch immer nicht ausgestanden. Im Frühsommer 2023 kam nämlich ein Brief seiner Krankenversicherung, wonach er über 8 Monate nicht versichert gewesen sei. Wir füllten also den Fragebogen aus und gaben an, dass er in der fraglichen Zeit Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten hätte und somit die Versicherung bestand. Aus meiner Sicht war die Sache damit eigentlich erledigt. Meine Vermutung war schon damals, dass nach der einmonatigen Arbeitsaufnahme die vom Sozialamt des Landkreises abgeführten Krankenversicherungsbeiträge bei der betreffenden Krankenkasse falsch zugeordnet wurden. Ende August gab es nun eine Mahnung über mehr als 1700 Euro, die er im Zuge der nachträglichen Selbstversicherung zahlen sollte. Ich ließ mir eine Vollmacht für die Kontaktaufnahme mit der AOK ausstellen und schrieb dorthin. Die Antwort kam spät und war eher dürftig, das Problem sei mit dem Landkreis zu klären. Zugleich erreichte den komplett entgeisterten Geflüchteten ein Brief mit der Ankündigung, nun Zwangsvollstreckungsmaßnahmen einzuleiten. Also kontaktiere ich nun den Landkreis, um das Tohuwabohu aufzuklären. Es ist ärgerlich. Besonders ärgerlich neben all der investierten Zeit und den angeschlagenen Nerven des Geflüchteten ist der Umstand, dass eine windige Zeitarbeitsfirma einmal mehr ungeschoren davonkommt, wenn sie Geflüchtete ins offene Messer laufen lässt. Beim Geflüchteten, in seiner Heimat wohlgemerkt Mathelehrer, geht es dennoch aufwärts. Er hat mittlerweile endlich einen Chancenaufenthalt nach §104c erhalten und arbeitet seit ein paar Monaten in einer Autowäscherei.

    Die Crux mit der Steuererklärung

    Einer der heikelsten Punkte in der Beratung in Arbeit befindlicher Geflüchteter ist das Thema Steuererklärung. Da darf man ja nicht einfach so dabei helfen – und das ist auch gut so. Es gibt einen triftigen Grund, weshalb es dafür einen eigenen Berufsstand gibt. Nun bestehen aber Hemmschwellen, eine Steuerberatungskanzlei aufzusuchen, weshalb pfiffige Geflüchtete gern auf diverse Steuererklärungsapps zurückgreifen. Ich erkläre höchstens den Ablauf, wie man sich bei Elster registriert und an ein Zertifikat kommt, damit man die Steuererklärung in Angriff nehmen kann. Und doch entkomme ich dem Thema Steuererklärung nicht. Ein mir nahestehender Geflüchteter hatte auch die Steuer via App gemacht. All das war dann mehrere Wochen im Status Bearbeitung, ehe er aufgefordert wurde, noch Ergänzungen zu machen. Er tat dies. 24 Stunden später erhielt er dann das Angebot, dass er vermutlich um die 250 Euro für 2022 zurückerhalten würden, als Spesen für den Steuerberater sollten knapp 70 Euro fällig sein. Als er mir davon erzählte, fragte ich nach, ob er eigentlich auch den mit den Öffis zurückgelegten Weg zur Arbeitsstätte und die damit verbundenen Kosten angegeben hatte. Ja, so antwortete er, er wurde danach gefragt, aber nur für die Arbeit, die er 2022 zwei Monate hatte, nicht für seinen Job, den er das übrige Jahr 2022 hatte. Das habe ihn auch ein wenig gewundert. Mich wiederum wunderte die eher niedrige Rückerstattung freilich nicht mehr. Ich riet ihm also, seine Steuererklärung keinesfalls so einzureichen. Eine Steuererklärung mittels App ist halt auch nicht die Lösung.

    Aber selbst der Weg hin zu all den für eine Steuererklärung benötigten Unterlagen ist kein einfacher. Ein geschiedener Geflüchteter wollte für seine Kinder die Steuer-IDs erfahren. Also half ich ihm bei der Kommunikation mit dem Bundesamt für Steuern. Was soll ich sagen? Es ist kompliziert. Die an die Meldeadresse von Mutter und Kindern gesendeten Steuer-IDs kamen angeblich nicht an. Der Versand an seine Meldeadresse war trotz einigem Hin und Her nicht realisierbar. Wenn ich daraus was gelernt habe, dann dass ich im Bundesamt für Steuern eine Art Endgegner gefunden habe. Ein guter Rat zuletzt: Macht bitte übrigens nie den Fehler, in der Öffentlichkeit im Gespräch mit Geflüchteten das Wort Steuererklärung in den Mund zu nehmen. Wildfremde Menschen, die dies aufschnappen, werden euch sofort interessiert und höflich fragen, ob ihr denn bei der Steuererklärung helfen würdet. Sagt den Leuten dann mit der gebotenen Vehemenz, dass euch als dahergelaufene Herzchirurginnen oder Atomphysiker diese Thematik leider auch überfordert!

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    Aus unserer Beratungspraxis (II)

    Uff, fragt ihr euch manchmal auch, ob ihr im falschen Film seid? Wir schon. Hier ein kleiner Einblick mit Fällen aus unserer Praxis. Doch zuerst müssen wir natürlich über den werten Herrn Merz sprechen. Das Problem ist nicht, dass Friedrich Merz lügt, wenn er behauptet, dass sich abgelehnte Asylbewerber in Deutschland die Zähne machen lassen würde und deutschen Bürgern deshalb Termine beim Zahnarzt wegnehmen würden. Das Problem besteht konkret darin, dass er damit viele Menschen erreicht, die diese Lügen glauben (wollen). In all den Jahren, in denen wir Geflüchteten dabei helfen, Arzttermin zu vereinbaren, sie nicht selten sogar begleiten, waren zahnärztliche Zermine stets unsere geringste Sorge. Und in den Fachrichtungen, in denen es verdammt schwer ist, halbwegs zeitnah einen Termin zu bekommen, schwelt der Missstand schon lange, nicht erst seit 2015 oder 2022. Da ist politisch gewollte Zwei-Klassen-Medizin die Wurzel allen Übels, nicht Hassan aus Syrien, Ibrahima aus Mali oder Svetlana aus Moldawien. Doch schauen wir uns mal ein paar Fälle aus unserer Praxis, diesmal mit dem Schwerpunkt auf medizinische Versorgung, an.

    Der eigentliche Preis einer Behandlung

    Er war gerade erst ein Teenager, als er zum Militär eingezogen wurde. In dem westafrikanischen Land herrschte zu diesem Zeitpunkt Bürgerkrieg. Eine Explosion verletzte ihn schwer am linken Bein. Bis heute leidet er unter dieser Verletzung. Doch dazu später mehr. Er floh in andere afrikanische Länder, wurde dort aber von Unruhen oder Hungersnöten eingeholt. Ende der 2000er erhaschte er ein Visa für Polen. Seine Absicht war jedoch nie, dort zu bleiben, er wollte in den Niederlanden um Asyl anzusuchen. Doch das Dublin-Verfahren machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Und so blieb er 10 Jahre in Polen, versuchte sich zu integrieren, heiratete eine Polin, bekam Kinder. Was er in Polen jedoch nie in ausreichendem Maße erhielt, war die medizinische Versorgung, die es ihm trotz körperlicher Einschränkung ermöglichen würde, ein annähernd normales Leben zu führen. Als schließlich auch die Ehe in die Brüche ging, stand er vor dem Nichts. So beschloss er, es abermals mit einem Asylantrag in den Niederlanden zu versuchen. Er kratzte das Geld für eine Fahrkarte zusammen, wurde aber an der deutsch-holländischen Grenze abgefangen und ins Erstaufnahmezentrum in Eisenhüttenstadt gebracht. Dank den Corona-Wirren kam es nicht zu einer Abschiebung nach Polen, mittlerweile ist Deutschland für den Geflüchteten zuständig. Er ist jetzt seit zweieinhalb Jahren hier in Deutschland. Die gute Nachricht: Hier erfuhr er eine adäquate Behandlung seiner Behinderung. Die schlechte Nachricht: Seine Perspektive in Deutschland sieht eher düster aus. Er lebt nun in einer Gemeinschaftsunterkunft nahe Berlin. Dort steckte ihm jemand meine Nummer zu. Zuerst einmal habe ich einen Anwalt eingeschaltet. Doch auch dieser meint, dass die Perspektiven für einen Aufenthaltstitel in Deutschland nicht gut seien. Anders sehe es wohl in Polen aus. Und so sehr er auch Sehnsucht nach seinen Kindern in Polen hat, so sehr fürchtet er, in das Land zurück zu müssen, dass ihm so lange Zeit so übel mitgespielt hat. Er möchte in Deutschland bleiben, weil er erst hier Zugang zu den so dringend benötigten medizinischen Leistungen hat, die eine Arbeitsfähigkeit sicherstellen. Er ist arbeitswillig, will mit dem verdienten Geld seinen Kindern ein gutes Leben ermöglichen. Der Preis für all das ist aber, dass er seine Kinder nicht im Arm halten kann. Ist er wirklich die Sorte „böser Ausländer“, der Deutschen Termine bei Ärzten und in Ambulanzen stiehlt?

    Ein abwimmelndes System

    Eine afghanische Familie, seit einigen Jahren hier in Deutschland, hatte Anfang 2022 Glück. Nach vielen Jahren, in denen sie in Hostels und Unterkünften in Berlin versauert ist, fand sie gerade noch vor Ausbruch des russischen Angriffskriegs hier in Berlin endlich eine eigene Wohnung. Der Preis dafür war aber hoch. Die erwachsene Tochter, die sich um alle Belange gekümmert hat, obwohl sie sich gerade auf den Beginn ihres Studium vorbereiten sollte, hat den Stress mit einem körperlichen und nervlichen Zusammenbruch bezahlt. Doch das ist Schnee von gestern, ihr Einstieg ins Studium ist mehr als nur geglückt. Eigentlich könnte nun alles gut sein, doch wurde ich dieser Tage wieder um Rat gefragt. Der mittlerweile ebenfalls volljährige Sohn der Familie leidet schon lange an einer psychischen Erkrankung. In den letzten Jahren war er deshalb viele Monate in psychiatrischen Einrichtungen in Berliner Kliniken. Nun hat sich sein Gesundheitszustand zwar leicht verbessert, eine Perspektive hat aber nicht. Die Familie hat sich schon vermehrt um Hilfestellungen bei renommierten Vereinen und Beratungsstellen bemüht, ist aber bislang immer wieder abgeblitzt. Dadurch, dass er nun volljährig ist, fallen Angebote für Minderjährige weg. Und deshalb werde ich, der ich in der Vergangenheit bereits in Krisensituation in bescheidenem Maße Unterstützung leisten konnte, nun versuchen, Türöffner zu sein. Das ist ja das eigentlich frustrierende Element an der Situation. Dass die Organisationen und amtlichen Stellen, die eigentlich Anlaufstelle sein sollten, gerne mal – bewusst oder unbewusst – Hürden aufbauen, die selbst engagierte Familien nicht überwinden können. Man wird erst mal abgewimmelt oder vertröstet. Es braucht leider, leider erst Akteure mit Kenntnis des Systems, die da einen Fuß in die Tür stellen und auch nicht weichen. Ich werde also die nächsten Wochen ein wenig Hirnschmalz und einiges an Beharrlichkeit in eine echte Problemlösung stecken müssen. Und mir ist es wirklich egal, ob dies Herrn Merz genehm ist.

    Unsensible Entscheidungsfindung

    Mehr als einmal haben wir uns von Geflüchteten anhören dürfen, dass ein Problem Europas die Allergien sind. In Afrika hätten sie keine Allergien gehabt, hier in Europa machen ihnen diese schwer zu schaffen. Gut, dafür gäbe es in Afrika Moskitos und Malaria, das wiederum sei zum Glück hier kein Problem. Wir kennen so einige Allergiker, denen Birke, Ragweed oder Hausstaub ordentlich zusetzen. Und da können auch Cetirizin oder Nasenssprays keine große Linderung schaffen. Darum haben wir schon mehrfach HNO-Ärzt*innen in Berlin aufgesucht. Prinzipiell ist so ein Besuch bei Fachärzt*innen kein Zuckerschlecken. Es muss ruckzuck gehen, für 5 Minuten im Behandlungsraum darf man durchaus eine Stunde Nachbesprechung einkalkulieren, um das Gehörte dann auch einzuordnen. Gerade wenn es beispielsweise um Desensibilisierungstherapie bei Allergien geht. Damals, als so manche tschadischen Geflüchteten, die wir unterstützt haben, noch ausgesprochen unsichere Aufenthaltsperspektiven hatten, wurde gern von ärztlicher Seite darauf hingewiesen, dass man diese auch 3 Jahre lang durchziehen muss, weil sonst der Schaden größer als der Nutzen sein könnte. Konnte man aber Geflüchteten, die lange von einer Abschiebung nach Italien bedroht waren, ob der Aussicht eines nicht unwahrscheinlichen Behandlungsabbruchs wirklich zu einer langfristigen Therapie raten? Irgendwie ist man in der unterstützenden Position dann doch auch in einer Rolle, ungewollt eine Entscheidung für oder gegen die Therapie zu treffen, je nachdem, wie man das Pro und Contra der ärztlichen Einschätzung in der Erklärung gewichtet. Das sollte aber so nicht sein. Ärzt*innen sollten ein unsicheres Zögern dann eben nicht mit den Worten abtun, dass man ja wiederkommen können, wenn man sich entschieden habe. Mehr Zeit für Erklärungen muss sein, selbst wenn im Wartezimmer Herr Merz sitzt.

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    Aus unserer Beratungspraxis (I)

    Fragwürdiger DNA-Test

    Ende letzten Jahres ging eine hochschwangere Geflüchtete mit ihrem Freund, der einen deutschen Pass besitzt, zum Bürgeramt, um bereits vor der Geburt die Vaterschaftsanerkennung in die Weg zu leiten. Man vertröstete sie mit den Worten, dass das nach der Geburt recht unkompliziert erledigt werden könnte. Denkste! Dem Baby geht es zwar blendend, mehr nach 9 Monate später ist die Beurkundung der Vaterschaft aber noch immer ausgesetzt, weil die Behörden erst einen DNA-Test sehen wollen. Nun ist so ein DNA-Test ja nicht wirklich günstig. Zumal der Kindsvater gerade in einer Ausbildung ist und sich nicht einfach so ein paar Euro dazuverdienen kann. Noch übler aber ist, dass die Sache mit dem DNA-Test in keinem der vorliegenden Schreiben auftaucht, sondern den Eltern nur mündlich kommuniziert wurde. So geht das natürlich nicht! Die Notwendigkeit eines DNA-Test möchte ich zumindest mal schwarz auf weiß lesen. Ein diesbezüglicher Brief ist raus. Jetzt heißt es abwarten.

    otelo ist Mist

    Ein Praxistipp: Hände weg von otelo, der Discount-Marke von Vodafone. Bereits seit März 2022 beschäftigt uns folgender Fall. Ein Ende Februar 2022 abgeschlossener Sim-only-Mobilfunktarif wurde den vollmundigen Versprechungen eines Händler in Berlin-Neukölln nicht gerecht. Es folgte daher ein an otelo gerichteter Widerruf des Vertrags. Ein paar Wochen später kam als Antwort, dass das der Vertrag bestenfalls beim Händler widerrufen werden könne und sonst natürlich über die vereinbarte Laufzeit von 24 Monaten weiterginge. Wir haben daraufhin im Frühsommer letzten Jahres den Verbraucherschutz Berlin konsultiert und ein Antwortschreiben aufgesetzt. Danach war Ruhe, die Ruhe vor dem Sturm. Im Frühjahr 2023 nämlich erhielt der Geflüchtete Post von einem Inkassounternehmen. Auch hier setzte ich unverzüglich einen Brief auf, der dem Inkassounternehmen mitteilte, dass die Forderung zu Unrecht bestehe. Vor ein paar Wochen nun kam ein neuer Brief, dass in der Angelegenheit Rücksprache mit Vodafone gehalten wurde und die Forderung berechtigt sei. Wir reden mittlerweile über einen Betrag von fast 600 Euro, für den es keine Gegenleistung geben hat, weil der Geflüchtete die SIM-Karte nur wenige Tage genutzt hatte. Fassen wir nochmals zusammen: Dubiose Händler, die Mobilfunkprodukte aufschwatzen, machen die Drecksarbeit. Etwaige Einwände zum abgeschlossenen Vertrag werden vom Mobilfunkanbieter abgeschmettert, indem auf die Zuständigkeit des Händlers verwiesen wird. Wenn es um das Eintreiben vermeintlicher Schulden geht, ist dann aber der Mobilfunkanbieter zuständig. Was macht die für Verbraucherrechte zuständige Politik eigentlich so beruflich?

    Kommunenirrsinn

    Gleich mehrere Fälle mit geradezu absurden, teils absurden Nachforderungen diverser brandenburgischer Landkreise beschäftigen uns derzeit. Alle Fälle eint, dass die Kreiskassen jeweils einige Tausend Euro für Nutzungsentgelte aus dem Jahre Schnee haben wollen. Und als wären diese astronomischen Nutzungsentgelte nicht schon problematisch genug, kommen noch Zinsen und Säumniszuschläge dazu, die schon mal 30 Prozent der Gesamtforderung ausmachen. In der gesamten Debatte um die Unterbringung Geflüchteter wird so gern von der Belastung der Kommunen gesprochen. Was dabei oft unerwähnt bleibt, sind die – höflich ausgedrückt – bescheidenen Wohnverhältnisse, die sich die Kommunen, sobald Geflüchtete in Arbeit sind, dann mit vielen hundert Euro in Monat versilbern lassen möchten. Das ist schon ein starkes Stück. Und nicht selten kommen solch Forderungen mit arger Verzögerung und bedeuten dann einen finanziellen Genickbruch. In zumindest einem Fall haben wir es bei den geforderten Nutzungsentgelten sogar mit einem Geflüchteten zu tun, der seit 2014 in Deutschland ist und bis dato noch keine Arbeitserlaubnis hat. Eine Nachfrage an die Kreiskasse des Landkreises ist seit über einem Monat unbeantwortet. In der ganzen Diskussion über Belastungsgrenzen der Kommunen wird deren eklatante Missverwaltung mit keiner Silbe erwähnt. Schade!

  • In eigener Sache,  Neues,  Neukölln

    Refugee Report I

    Themen aus unserer Praxis

    Auch heute wollen wir euch wieder Einblick in unser Tun geben. Wie immer gilt: Lesen auf eigene Gefahr. Wir wollen ja nicht, dass ihr euch vor lauter Kopfschütteln den Nacken verrenkt.

    Pflegeschreck Jobcenter

    Eine der zukunftsträchtigsten Ausbildungen, die man in einem alternden Deutschland machen kann, ist der Gang in die Pflege. Ein junger Familienvater aus Nigeria, in einem Brandenburgischen Kaff an der Grenze zu Sachsen-Anhalt wohnhaft, ist fest entschlossen, eine Ausbildung zum mobilen Pflegehelfer zu machen. Das zuständige Jobcenter müsste nur die Kosten dafür übernehmen. Die Weiterbildungsmaßnahme würde auch den Erwerb eines Führerscheins beinhalten, welchen man als mobiler Pflegehelfer doch ganz gut brauchen könnte. Doch genau da sperrt sich das Jobcenter. Der Erwerb eines Führerscheins gehöre nicht zu den Aufgaben der aktiven Arbeitsförderung. Es seien anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten zu prüfen. Und da in der Region ausreichend Stellen in stationären Einrichtungen vorhanden seien, sei der Führerschein in die Integration in Arbeit nicht notwendig. Unser Vorschlag zur Güte: Unnütze Jobvermittler entlassen und das eingesparte Geld in die berufliche Zukunft jener Menschen investieren, die tatsächlich einen gesellschaftlich wertvollen Beitrag leisten wollen.

    Betrogen bei der Wohnungssuche

    Man stelle sich einen syrischen Geflüchteten Mitte 20 vor, der 2015 nach Deutschland gekommen ist. Sein Deutsch ist mindestens auf C1-Niveau, er studiert in Berlin und arbeitet nebenbei in der Gastronomie. Also alles in Butter? Nein, seine Wohnverhältnisse sind prekär und er sucht schon länger eine neue Wohnung. Nach vielen Frustrationen, die eine Wohnungssuche heutzutage mit sich bringt, wähnte er sich im Glück. Er antwortete auf eine private Annonce, wurde zu einer Besichtigung der Wohnung in Neukölln eingeladen. Für eine Abstandszahlung von 6000 Euro würde er die Wohnung vom Vormieter übernehmen können. Er kratzte das Geld zusammen. Alles schien so zu laufen, wie es dieser Tage halt bei der Wohnungssuche so läuft. Die Schlüssel zur Wohnung würde er bei Auszug des Vormieters erhalten. Kaum war das Geld übergeben, herrschte plötzlich Funkstille. Auf keinem der bisherigen Kontaktkanäle gab es irgendeine Form von Rückmeldung. Der Syrer erstattete Anzeige. Fuhr mehrfach zur Wohnung, wo er niemanden antraf. Erst Wochen später öffnete eine ihm unbekannte Person die Tür. Es war der eigentliche Mieter der Wohnung. Dieser hat die Wohnung mehrere Monate zwischenvermietet gehabt. Allem Anschein nach hatte der vermeintliche Zwischenmieter eine in den Details raffinierte Betrugsmasche aufgezogen. Eine Nachfrage bei der Polizei ergab, dass diese den Betrug zwar ans LKA weitergeleitet hatte, aber angesichts des geringen Betrags dem Fall nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt werden würde. Der Syrer ist geknickt, blickt bei der Wohnungssuche freilich wieder nach vorn und stellt sich dabei folgende Frage: Warum nur ist es ausgerechnet ihm nicht möglich, auf bestechliche Mitarbeiter*innen städtischer Wohnbaufirmen zu treffen und auf diese Weise eine Wohnung zu ergattern? Er höre immer davon, aber Namen wolle niemand rausrücken…

    Rassismusvorwurf gegen Security bei Kaufland

    Zunächst die Fakten: Es geht um einen Diebstahl von einer Packung Salamisticks und eines Kosmetikartikels in der Höhe von unter 3,44 Euro in einem großen Supermarkt nahe dem Alexanderplatz. Dieser Tage flatterte der Strafbefehl ins Haus. 40 Tagessätze zu je 15 Euro, also insgesamt 600, solle der Geflüchtete zahlen. Falls bei ihm nichts zu holen sei, tritt an Stelle eines Tagessatzes ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe. Dass laut Strafbefehl an der Strafverfolgung ein besonderes öffentliches Interesse besteht, daran haben wir keinen Zweifel. Der Verurteilte widerspricht der Darstellung des Securitymitarbeiters, spricht davon, dass ein arabisch sprechender Securitymitarbeiter besonders Menschen mit schwarzer Hautfarbe auf dem Kieker habe. Das alles ist nicht nachprüfbar. Dass dieser Securitymitarbeiter mit Migrationshintergrund im Strafbefehl nicht als Zeuge genannt wird, ist merkwürdig. Stattdessen wird als Zeuge ein Name genannt, der sehr deutsch und doch einigermaßen einzigartig klingt. Wer diesen Namen googelt, stößt auf ein Facebook-Profil, welches allein in den letzten 2 Wochen zwei Aussagen von Alice Weidel öffentlich geteilt hat. Der Rassismusvorwurf, den der verurteilte Geflüchtete äußert, klingt aufgrund dessen nicht wirklich unglaubwürdiger. Kann es sein, dass Kaufland da mal genauer hingucken sollte? Was glaubt ihr? Lohnt es, hier nachträglich noch einen Anwalt einzuschalten?

    Im Tschad brennts

    Ein Putsch im Niger, eine abgesetzter Präsident in Gabun. Vom schlimmen Bürgerkrieg im Sudan ganz zu schweigen. In Afrika geht es gerade ab. Doch was es zu uns in die Nachrichten schafft, ist nur die Spitze des Eisbergs. Dass schwarze Menschen, die als Minderheit seit Jahrzehnten im Süden Libyens leben, nun aus ihren Viertel vertrieben und in Gefängnislager gesperrt werden, bleibt beispielsweise unerwähnt. Auch der Umstand, dass es in Faya, einer Oasenstadt im Norden Tschads, gerade massive Unruhen gibt, ist der europäischen Öffentlichkeit nicht bekannt. Die hiesige Bevölkerung wendet sich gerade gegen französische Soldaten der Militärbasis der Stadt, nachdem französische Soldaten aus vermeintlicher Notwehr heraus Exekutionen im Kopfschuss-Stil begehen. Diese Auflehnung gegen die französische Besatzung reiht sich nahtlos in die jüngsten Hiobsbotschaften aus dem Land ein. Da wäre der große Ansturm vor dem Krieg flüchtender Menschen aus dem Sudan, damit verbunden ist in dieser Gegend eine massive Hungersnot und eine medizinische Katastrophe. Dazu drohen die bereits begonnenen Vertreibungen aus Libyen. Und da wäre noch der von Frankreich und vom Militär gestützte Diktator, der immer neue Gründe findet keine Wahlen abzuhalten. Unsere tschadischen Freunde werden in den nächsten Wochen auch mit Demos auf den skrupellosen französischen Neokolonialismus aufmerksam machen.

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    Point of no Return & Durchgeknallt und obdachlos

    Wir haben euch schon länger kein Update gegeben, was auch daran liegt, dass es derzeit an Negativität nicht mangelt und neben kleinen Erfolgen derzeit leider auch in unserem Tun eher mittlere und große Katastrophen dominieren. Wir werden in den nächsten Tagen mehrere Updates posten, vielleicht seid ihr trotzdem an dem einen oder anderen Schicksal interessiert:

    Point of no Return

    Einen jungen Mann aus dem Tschad (Baujahr 1999), wohnhaft in einem Städtchen im Westen Brandenburgs, haben wir lange Zeit mal mehr, mal weniger begleitet. Zumindest vor Corona hatten wir viel Hoffnung, was seine Perspektive in Deutschland angeht. Er wollte seinen Schulabschluss nachholen und träumte davon, Lokführer zu werden. Alles schien möglich. Doch gerade in den letzten drei Jahren ging alles den Bach runter. Er schmiss die Schule, gerade weil es während der ersten Lockdowns natürlich auch nicht so viele Möglichkeiten zur Nachhilfe gab, damit ging natürlich auch der Traum vom Lokführer flöten. Auch weitere Ausbildungsmöglichkeiten verliefen im Sande, in seinen Jobs, etwa bei Tesla als Gabelstaplerfahrer, wurde er auch nicht wirklich glücklich.

    Dazu kamen private Probleme. Er hatte ein gemeinsames Kind mit einer Deutschen. Und obwohl diese 2022 in die Psychiatrie eingewiesen wurde, durfte er das Kind viele, viele Monate nicht sehen. Er hätte keinen Bezug zum Kind, argumentierte das Jugendamt. Erst Anfang diesen Jahres konnte er nach langem Hin und Her bei Gericht ein Umgangsrecht erwirken, eine Sorgerecht blieb in weiter Ferne. Ebenso quälte ihn, dass er noch immer eine Aufenthaltsgestattung hatte. Ein anwaltlicher Antrag, seine Klage gegen die Asylablehnung zurückzuziehen, um wenigstens den neu eingeführten Chancenaufenthalt zu bekommen, wurde laut Anwalt vom Gericht abgeschmettert. Sein Arbeitgeber Tesla, bei dem er beschäftigt war, hatte ihm zudem von einem Tag auf den anderen mitgeteilt, dass eine Arbeitserlaubnis nicht mehr für die Anstellung reichen würde, sondern er sofort einen Aufenthaltstitel vorlegen müsste. Als er diesen nicht beibringen konnte, wurde er entlassen.

    Irgendwann im Lauf des Frühjahrs war er mit den Nerven fertig, der Point of no Return erreicht: Er würde zurück in den Tschad gehen, weil es seiner Familie nicht gut ging. Trotz aller Risken, trotz aller Probleme! Sein einziger Wunsch hier in Deutschland war es, wenigstens den teuren Flug in den Tschad irgendwie bezahlt zu bekommen. Doch Rückkehrhilfe ist in Brandenburg allem Anschein nach ein Fremdwort. Die Ausländerbehörde winkte ab und verwies ihn an die örtliche Beratungsstelle der Diakonie. Der Haken daran war, dass es diese Beratungsstelle längst nicht mehr gab. Ich hatte eher halbherzig in Berlin ein paar Institutionen angefragt, aber entweder waren diese nur für Berlin zuständig oder aber sie meldeten sich schlicht nicht zurück. Halbherzig habe ich hauptsächlich deshalb agiert, weil ich im Stillen hoffte, dass dies nur eine Laune des jungen Mannes sei und er sich wieder fangen würde.

    Ende Mai schließlich erzählten mir befreundete Landsleute, dass der Geflüchtete tatsächlich in Tschad zurückgegangen war. Ich kontaktierte ihn per WhatsApp, er klang ungemein gelöst, so als würde er erst jetzt wieder daran glauben, irgendwie, irgendwo und vielen Widrigkeiten zum Trotz eine Zukunft zu haben. Er habe zwar selten Handyempfang und Strom gebe es im Dorf auch quasi nicht, er sei aber froh, in schweren Zeiten bei seiner Familie zu sein und helfen zu können. Die Passivität, die ihn hier in Deutschland in den Klauen hatte, war zugunsten des Gefühls, selbst anpacken und helfen zu können, gewichen.

    Als Wermutstropfen bleibt ein Kind, dass ohne einen sehr liebevollen Vater als Menschen aufwachsen muss. Das System Deutschland hat einen intelligenten jungen Menschen weichgekocht und ausgespuckt, ihm selbst bei seiner Rückkehr in den Tschad noch einen Tritt in den Hintern verpasst.

    Durchgeknallt und obdachlos

    Dienstag früh nahm ich aufgrund eines Außentermins nicht den üblichen Weg zur Arbeit, sondern trieb mich müde und mit Kaffee bewaffnet in der Nähe des Ostbahnhofs rum, als ich plötzlich einen von einem Zeltlager in der Mitte einer kleinen Wiese winkenden Mann sah. Mit einem Mal war ich wach! Vor mir stand A., ein seit einigen Wochen verschollenes „Sorgenkind“. Er begrüßte mich auf Deutschland und generell die ganze Welt schimpfend.

    Spulen wir mal zwei Jahre zurück. A., ein Tschader damals Anfang 30, hätte eigentlich einigermaßen froh sein können. Er hatte über die Vermittlung von jobs4refugees einen Job in einem Gartenbauunternehmen aufnehmen können. Er, der sich mehrere Jahre hatte gehen lassen und unzählige Strafen wegen Fahrens ohne Ticket angehäuft hatte, hatte zu diesem Zeitpunkt einen Unterstützer, der sich um mindestens ein Dutzend aufgelaufener Inkassoforderungen kümmerte. Ein Neustart nach bescheidenen Jahren schien möglich. Doch dazu kam es nicht. Denn wenige Tage vor Beginn des Jobs wurde er im Görlitzer Park überfallen und an der Schulter verletzt. Hallo Krankenhaus, adieu Job! Die Probleme mit der Schulter würden ihn noch einige Zeit begleiten. Er blieb der Pechvogel, der er auch schon zuvor gewesen war. Wobei Pech das ganze Schlamassel nur unzureichend beschreibt. A. zählte auch in der tschadischen Community schon länger zu den Abgehängten. Obwohl seit mindestens 2013 in Deutschland hatte er nie wirklich Deutsch gelernt, sondern sich ein Kauderwelsch angeeignet, was die Verständigung nicht immer einfach machte. Latent wohl länger vorhandene psychische Probleme wurden durch traumatisierende Erfahrungen verstärkt. Bei fast jeder Gelegenheit erzählte er die Geschichte eines länger zurückliegenden, mehrmonatigen Gefängnisaufenthalts. Bis heute kennt er den Grund dafür nicht. Er sei mit einem umtriebigen Supporter zu einem Gerichtstermin in Potsdam gebracht und dort länger befragt worden. Anschließend sei ihm gesagt worden, dass er gehen dürfe. Er sei mit dem Supporter dann aus dem Gerichtsgebäude geschlendert, nur um dann von einem Polizisten oder Angehörigen der Justizwache dann doch aufgehalten und in einer Wanne in ein Gefängnis gebracht zu werden. Dort habe man ihn mies behandelt, er hätte sich nackt ausziehen müssen und es wäre ein Ganzkörperröntgen gemacht worden. In seiner Zelle hätte er öfter Notizen auf arabisch auf einen Block gemalt. Dies führte dazu, dass er von einem Wächter fälschlich verdächtigt wurde, Al-Quaida nahezustehen. Er sei mehrfach verhört worden, ihm seien Bilder nackter Frauen gezeigt worden, vermutlich um eine Reaktion zu provozieren. So weit die nicht nachprüfbare Geschichte, wie er sie immer wieder erzählte.

    Bevor wir das alles als Schauermärchen abtun, will ich mal die für mich nachprüfbaren Fakten darlegen. Es gab tatsächlich eine stark zerfledderte Bescheinigung von einem mehrwöchigen Aufenthalt in einer brandenburgischen Psychiatrie. Was in den mickrigen Unterlagen jedoch fehlte, war irgendein Hinweis darauf, dass er danach jemals wieder in psychiatrischer Behandlung war. Was auch immer der Auslöser für die Einweisung war, der mentalen Gesundheit wurde anschließend keine Aufmerksamkeit geschenkt. Nun hatte A. tatsächlich mehrere Jahre einen Anwalt, doch zu diesem konnte man nicht mehr gehen, um mehr über die Vorgeschichte zu erfahren. Der Anwalt hatte seine Tätigkeit aufgegeben, ein Nachfolger sollte zunächst die Kanzlei und das Mandat übernehmen. Die Kanzleiübernahme wurde jedoch abgeblasen und schließlich landeten die Akten bei einem eher für russischsprachige Mandaten agierenden Anwalt. Zu diesem wollte der Tschader keinerlei Kontakt, überhaupt traute er Anwälten nicht mehr über den Weg. Also blieb dieser Weg der Aufarbeitung außen vor.

    Nicht hilfreich bei dem Versuch, A. wieder auf die Beine zu helfen, war der Umstand, dass der Mann öfter mal zu Drogen griff, zumindest Marihuanakonsum steht außer Zweifel. In von Drogen benebeltem Zustand war er zuvor schon mal aus Fenstern seiner Potsdamer Flüchtlingsunterkunft gefallen. Als er sich Anfang 2022 noch mit Supporter überwarf, schien dies kurzzeitig sogar ein Segen. Er hatte kein Geld für Drogen und blieb im Heim im Potsdam. Doch irgendwann Ende letzten Jahres dürfte er dann in ein betreutes Wohnen verlegt worden sein. Dort fühlte er sich allem Anschein nach nicht wohl, er kam wieder öfter nach Berlin, trieb sich an Treffpunkten der tschadischen Community herum und bettelte seine Landsleute um Geld an. Und das bringt uns nun wieder zu jenem Dienstagmorgen.

    A. begrüßte mich also schimpfend. Seine Landsleute würden mit dem deutschen System unter einer Decke stecken. Alle, denen er früher vertraut hätte, hätten sich gegen ihn verschworen. Er sei zu oft „in den A*sch ge*ickt“ worden. Er lebe jetzt schon 2 Monate auf der Straße, schlafe entweder auf der Wiese nahe dem Ostbahnhof oder bei schlechtem Wetter in einem Park. Er habe alles, alles satt. Er wolle zurück in den Tschad, dort sei seine Familie angesehen, hätte früher sogar Könige gestellt. Mein Blick fiel auf seine verkrüppelten, nackten Füße. Seine Schuhe seien vom Regen des vergangenen Tages nass, er habe kaum etwas zum Anziehen, keine vernünftigen Schuhe und leider auch kein Geld für ein Ticket aus dem Elend. Ich musste weiter, ich versprach aber, ihn in den kommenden Tagen dort wieder aufzusuchen.

    Durchgeknallt und obdachlos, so lautet das triste Fazit dieser Begegnung. Wie ich ihm helfen kann, ist mir nicht ganz klar. Falls jemand Kleidung in Größe M und Schuhe in der Größe 43 übrig hat, würde ich ihn wenigstens damit versorgen. Mehr an Hilfe scheint nicht möglich, ein tristes Ende vorprogrammiert. Mich persönlich hat dieses Zusammentreffen sehr traurig gestimmt.

    Danke für das Lesen dieser Zeilen. Demnächst mehr, dann auch wieder mit ein paar Lichtblicken.

    Wer unsere Arbeit unterstützen möchte, kann dies via Paypal tun: https://paypal.me/neukoellnhilft

    Danke!

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    Abschiebung und Polizeigewalt

    Es begann Dienstag abends mit einem Hilferuf zu vorgerückter Stunde. Eine junge Frau aus dem Tschad und ihr 4-jähriges Kind sollten in der Nacht von Montag auf Dienstag aus einer Unterkunft in Peitz im Landkreis Cottbus abgeschoben werden. Die Abschiebung sei aus dem Ruder gelaufen, die Frau von der Polizei misshandelt und mit Verletzungen im Krankenhaus in Cottbus stationär aufgenommen worden. Das Kind würde vermutlich nun vom Jugendamt betreut. Da mir die Quelle dieser Nachricht vertrauenswürdig erschien, hatte ich sogleich den Flüchtlingsrat Brandenburg kontaktiert und ein paar meist wohlinformierte Menschen angeschrieben. Außerdem habe ich auch tschadische Freunde gebeten, in der Community die Ohren zu spitzen.

    Im Laufe des heutigen Mittwochs hatte ich endlich auch einen Namen und eine Telefonnummer. Damit ließ sich arbeiten. Doch leider war die Tschaderin telefonisch nicht erreichbar. Am Nachmittag meldete sich der Flüchtlingsrat Brandenburg zurück und versprach, über offizielle Kanäle eine Anfrage an die zuständigen Behörden zu stellen. Dazu kontaktierte mich noch eine im Landkreis in der Flüchtlingsberatung tätige Frau, um deren Engagement ich bereits aus früheren Kontakten wusste. Sie konnte mir den für Peitz zuständigen Migrationssozialarbeiter nennen und bot sich zudem an, Donnerstag als Übersetzerin ins Krankenhaus zu fahren. Im Lauf des Nachmittags bekam ich allmählich ein klareres Bild der Lage. Das Ziel des Abschiebeversuchs dürfte vermutlich Frankreich gewesen sein. Die Frau war vermutlich noch mit einer Aufenthaltsgestattung ausgestattet, was den Zeitpunkt der Abschiebung eher überraschend macht. Die Tschaderin hatte sich gegen die Mitnahme durch die Polizei gewehrt und daraufhin Verletzungen erlitten. Aus einer Quelle erfuhr ich, dass ein zeitnaher neuerlicher Abschiebeversuch drohen könnte.

    Nur damit wir uns nichts vormachen: In Cottbus darf die Tschaderin nicht auf Milde hoffen. Das Krankenhaus scheint bei Abschiebungen in der Vergangenheit ausgesprochen kooperativ gewesen zu sein. Die Ausländerbehörde genießt einen ganz schlechten Ruf. Und das Verwaltungsgericht Cottbus ist – höflichst formuliert – problematisch. Cottbus ist ein Hort des Grauens für Geflüchtete.

    Abschiebungen sind nie lustig. Vor allem aber scheinen sie eine ziemlich rechtsfreie Situation. Weil Übergriffe nicht geahndet werden, da die Personen, die sie betreffen, in meist weiter Ferne nicht gegen die Übergriffe vorgehen können. Wir haben uns fest vorgenommen, hier weiter am Ball zu bleiben und hoffen, morgen endlich mit der Tschaderin persönlich sprechen zu können. Wir bedanken uns für die zahlreichen, nützlichen Rückmeldungen!